Im Land der Orangenbluten
Arbeitszimmer kam.
»Oh, Verzeihung!« Zwei blaue Augen blickten sie überrascht an. »Riard mein Name ... Jean Riard. Ich bin ...« Verlegen strich er sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr.
»Sie sind sicher der Buchhalter.« Julie lächelte ihn freundlich an. »Mein Mann erwähnte, dass Sie kommen würden«, sagte sie, während sie ihn kurz musterte. Er war hochgewachsen, aber nicht mager, sondern durchaus muskulös. Er sah nicht gerade aus, wie man sich einen Buchhalter im Allgemeinen vorstellte. Eher wie jemand, der körperliche Arbeit gewohnt war.
»Ja, ganz früh heute Morgen, die Flut war günstig. Es tut mir leid, dass ich mich Ihnen noch nicht vorgestellt habe. Sie müssen ...«
»Juliette Leevken, die neue Frau im Haus.« Julies Lachen klang einen Tick zu verächtlich, der junge Mann runzelte kurz die Stirn.
»Freut mich, freut mich außerordentlich«, sagte er jedoch eifrig. »Ich wollte ... ich bin gerade auf dem Weg zur Veranda, dort kann man vormittags ganz gut an der frischen Luft arbeiten.« Er deutete auf den Stapel Papiere.
»Dann will ich Sie nicht aufhalten.« Julie bedachte Riard mit einem Lächeln und trat einen Schritt zur Seite.
Julie ließ ihren Stickrahmen auf den Schoß sinken und seufzte. Warum sollte sie hier allein im Salon sitzen, wenn Besuch im Haus war? Gut, genau genommen war dieser Buchhalter ja kein Besuch, sondern zum Arbeiten hier, aber ... Karl war auf den Feldern und Martina ... sie wusste nicht, wo sie gerade steckte, wahrscheinlich quälte sie gerade irgendwo die kleine Liv mit irgendwelchen unnötigen Dingen. Julie griff entschlossen nach ihrer Handarbeit und ging auf die vordere Veranda. Jean Riard saß an einem Tisch, den Blick in seine Akten versunken, und erschrak zutiefst, als Julie sich zu ihm gesellte.
»Sie haben doch nichts gegen ein bisschen Gesellschaft? Ich verspreche auch, Sie nicht von der Arbeit abzuhalten.« Julie deutete auf einen freien Stuhl.
»Nein, nein! Gerne, setzen Sie sich doch.« Der Mann schien verlegen. Julie folgte seiner Aufforderung und versuchte, sich fortan auf ihre Handarbeit zu konzentrieren. Doch schon nach wenigen Minuten hatte Nico mitbekommen, dass Julie auf der Veranda erschienen war. Der Vogel kam angeflattert und stolzierte auf der Balustrade hinter Julie hin und her.
»Na, da scheint Sie aber jemand zu mögen, Mevrouw Leevken.«
Riard deutete auf den Papagei, der gerade anfing, an Julies Kragen zu knabbern.
Julie hatte inzwischen jegliche Scheu vor ihrem gefiederten Begleiter verloren und schob Nico nun sanft mit der Hand ein wenig beiseite. »Ja«, lachte sie, »er hat mich manchmal zum Fressen gern.« Nico beschränkte sich jetzt darauf, an den eigenen Federn zu knabbern.
»Wie haben Sie den denn so schnell zahm bekommen? Ich meine ... Sie sind doch noch gar nicht so lange im Land.« Fasziniert schaute er immer noch auf den Vogel. Seine Augen blitzten neugierig, und er murmelte leise: »Amazona ochrocephala ochrocephala« .
»Bitte?«
»Oh, das ist eine Surinam-Amazone«, sagte er. Die Begeisterung in seiner Stimme war deutlich hörbar.
»Sind Sie etwa Ornithologe?«, lachte Julie.
Er zuckte die Schultern. »Nein, aber als Kind hatte ich wenig Abwechslung, daher ...«
Julie strich derweil Nico sanft mit dem Zeigefinger über die Brustfedern. »Ich habe ihn gar nicht gezähmt, er kam an, als ich hier eintraf, und seitdem ...«
»Oh, Sie wissen aber schon, dass das durchaus etwas Besonderes ist?«
Verwundert sah Julie den jungen Buchhalter an. »Nein, das wusste ich nicht. Wieso?«
Er legte seinen Stift beiseite und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Nun ja, so ein Vogel ... diese Papageien, in der Natur schließen sie sich zu festen Pärchen zusammen, die auch so lange zusammenbleiben, bis einer stirbt. Wenn es jemandem gelingt, so einen Vogel zu zähmen, dann nimmt der Vogel ihn sozusagen ... nun, man ersetzt ihm dann den Partner.«
Julie runzelte erst die Stirn und zog dann die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Sie meinen, ich bin jetzt ... Nicos Partnerin?« Sie musste bei dieser Vorstellung unwillkürlich schmunzeln.
»Sieht ganz so aus«, lachte Riard und deutetet auf Nico, der Julie gerade mit verträumt schief gelegtem Kopf beobachtete.
»Sie kennen sich aber gut aus. Stammen Sie aus Surinam?«
Er nickte. »Ja, ich bin hier geboren, ich war aber auch schon einige Zeit in Europa, in den Niederlanden und in Frankreich. Sie müssen wissen, meine Mutter war Französin, vielmehr stammt ihre Familie
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