Im Land der Orangenbluten
gegenüber sowieso sehr zurück. »Ja, Misi; nein, Misi; alles gut, Misi.« Sobald Julie im Sklavendorf auftauchte, nahmen alle eine steife und förmliche Haltung ein. Sie spürte, dass die Sklaven ihr wohlgesinnt waren und ihr keine Feindseligkeit entgegenbrachten, trotzdem gaben sie ihr deutlich spürbar das Gefühl, von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Dabei hätte Julie so gern etwas mehr über ihre Kultur und Lebensweise erfahren! Auch wenn Kiri ihr das eine oder andere erzählte, blieben viele Fragen offen, nicht zuletzt, weil ihre Leibsklavin selbst neu auf der Plantage war.
Nach einem außerordentlich langweiligen Vormittag, als es gerade aufgehört hatte zu regnen und vermutlich auch ein paar Stunden trocken bleiben würde, beschloss Julie kurzerhand, sich jetzt doch selbst ein Bild von den Arbeiten an der Zuckerrohrernte zu machen. Sie wollte nur einen kurzen Blick darauf werfen, sie konnte ja in sicherer Entfernung stehen bleiben. Karl musste es ja nicht unbedingt erfahren. Julie war froh, einmal das Haus verlassen zu können.
An der Zuckermühle herrschte bereits rege Betriebsamkeit. Maultierkarren, hoch beladen mit Zuckerrohr, rollten auf durchweichten Wegen auf die Mühle zu, luden ihre Fracht ab und schwenkten in einer Schleife zurück in Richtung Felder. Die Mulis waren bereits tropfnass, Schweiß stand unter den Geschirren. Die Sklaven, die die Wagen begleiteten, wirkten ebenfalls erschöpft. Karl kam gerade auf seinem Hengst den Weg von den Feldern hergeritten. Sein Gesicht war mürrisch verzogen, er hielt eine lange Peitsche, die sonst die Basyas bei sich trugen, in der Hand.
»Bewegt euch!«
Er schwang die Peitsche, die über einem Feldsklaven, der gerade eines der Gespanne zurück zum Beladen auf die Felder führte, niederging. Ein kurzer, knallender Laut hallte zu Julie herüber. Aber weder das Maultier noch der Sklave zuckten zusammen. Flugs schritten beide schneller, und Julie fragte sich, wen von beiden Karl wohl getroffen hatte.
Es war vermutlich besser, wenn Karl sie hier nicht sah. Er wäre mit Sicherheit der Ansicht, eine Frau störe nur.
Julie verharrte im Schatten eines großen Baumes und beobachtete das Treiben. Das Wasser im Kreek hinter der Zuckermühle stand auffallend hoch. Ihr fiel ein, was Amru bei ihrer ersten Führung über die Plantage erklärt hatte: Die Mühle wurde mit Wasser betrieben. Und jetzt, wo es zu Vollmond eine Springflut geben würde, war es Zeit, das reife Zuckerrohr zu ernten und zu pressen.
Von ihrem Standort aus konnte Julie nicht erkennen, was sich im Inneren des Mühlengebäudes abspielte. Sie sah lediglich die Sklaven, die unter Aufsicht der Basyas, die sich neben dem großen Eingangstor postiert hatten, das Zuckerrohr von den Wagen luden. Schaudernd bemerkte sie, dass auf vielen Männerrücken frische Striemen zu sehen waren. Die Aufseher und auch Karl schienen in diesen Tagen nicht gerade zimperlich mit den Sklaven umzugehen.
Julie beobachtete, wie Karl sein Pferd wendete und wieder Richtung Felder ritt. Als er außer Sichtweite war, ging sie etwas näher an die Mühle heran. Sie tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, es war früher Nachmittag und die Sonne brannte vom Himmel. In der Regenzeit wurde es, insbesondere wenn es gerade nicht regnete, so drückend schwül und feuchtwarm, dass man sich fast die trockenere Zeit im Jahr herbeisehnte. Von den Mücken, die einen nun Tag und Nacht belästigten, ganz zu schweigen.
Plötzlich erklangen aus dem Inneren der Mühle aufgeregte Schreie. Die zwei Basyas verließen ihren Platz neben dem Tor und eilten in das Gebäude. Julie hielt gespannt die Luft an.
Kurz darauf kamen die beiden Aufseher wieder heraus. In ihrer Mitte schleiften sie einen Sklaven mit sich, der leise, jammernde Töne von sich gab. Erst als sie ihn etwas abseits auf den Boden stießen, sah Julie, dass der Mann verletzt war. Er krümmte sich zusammen, und auf dem nassen Sand um ihn herum bildeten sich schnell rote Flecken. Julie traute ihren Augen nicht. Wollten die Aufseher den Mann dort jetzt einfach so liegen lassen? Ohne einen Moment des Zögerns stürmte sie zu ihm, vorbei an den verdutzten Basyas. Mit der Misi hatte hier heute vermutlich niemand gerechnet.
Entsetzt sah sie, dass der rechte Arm des Mannes bis zum Ellenbogen zerquetscht war. Aus der großen Wunde quoll Blut.
»So holt doch Hilfe! Holt Amru!« Julie kniete sich neben den Verletzten, wusste aber nicht, was zu tun war. Beruhigend
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