Im Land der Orangenbluten
hatte Kiri sogar erzählt, dass es in der Stadt viel mehr Mulatten gab als auf den Plantagen. Es gäbe sogar inzwischen viele freie Sklaven, sogenannte manumissis , die von ihren Herren freigekauft wurden oder das gar selbst geschafft hatten. Kiri erinnerte sich an die Buschneger, sie hatte nie verstanden, wie sie zu ihrer Freiheit hatten gelangen können. Die Alte hatte Kiri erklärt, dass ein Masra einen Sklaven nicht nur kaufen, sondern auch freikaufen konnte. Das war zwar sehr teuer, aber die Kinder eines solchen Sklaven waren dann ebenfalls frei und so weiter.
Kiri hatte darüber nachgedacht. Was machte man denn als freier Sklave, wer versorgte einen, wo lebte man? Die alte Frau hatte auf ihre Fragen nur gelacht und dann ernst geantwortet: Viele Weiße schenkten ihren schwarzen Gespielinnen die Freiheit und versorgten sie dennoch weiterhin – eine surinamische Ehe nenne man das. Also, wenn Kiri sich anstrenge, zu einem hübschen Mädchen heranzuwachsen, dann ... hatte sie gesagt und eine anzügliche Geste gemacht.
Kiri mochte sich nicht recht vorstellen, dass es schwarze Frauen gab, die sich freiwillig mit Weißen einließen. Soweit sie gehört hatte, nahmen sich die Weißen einfach, was sie wollten. Aber wenn das wiederum dazu führte, dass man vielleicht frei wurde?
Nachdenklich schob Kiri den Wischeimer auf den Flur. Der Boden im Zimmer musste trocknen, es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie jetzt weitermachen konnte. Sie beschloss, Amru derweil ein bisschen zur Hand zu gehen und lief über die Hintertreppen nach unten. Den Eimer vergaß sie.
Kapitel 8
»Das kann sie nicht machen!«
Martina starrte wutentbrannt erst Julie an, dann ihren Vater. »Vater, ohne Amru ... ich kann ... ich will Liv nicht!«
Julie musste innerlich schmunzeln ob dieses Ausbruchs, achtete aber darauf, einen ernsten Gesichtsausdruck zu behalten. Eben hatte sie Martina bei Tisch eröffnet, dass Amru ihr nicht mehr als Leibsklavin zur Verfügung stehen würde.
»Martina. Liv kann die von dir geforderten Aufgaben ebenso gut erfüllen wie Amru.« Julie bemühte sich um einen resoluten Tonfall.
Martina begann zu weinen, ob aus Wut oder Traurigkeit vermochte Julie nicht zu sagen. Schluchzend wandte sich Martina ihrem Vater zu, der die Szene bisher, hinter seiner Zeitung verschanzt, mitgehört hatte. Jetzt faltete er sie jedoch unwirsch zusammen.
»Martina, du bist kein Kleinkind mehr, und Juliette hat recht, es ist Zeit, dass du eine junge Sklavin bekommst, schließlich wird sie dich noch einige Jahre begleiten müssen, und Amru ...«
»Aber diese Liv ist ein tolpatschiges Ding, sie wird nicht ...«
Mit einer Handbewegung bedeutete Karl Martina zu schweigen. »Es ist genug jetzt, du nimmst Liv oder keine.«
Martina sprang heftig auf und rannte aus dem Zimmer. Julie blickte ihr besorgt hinterher. Sie hatte zwar damit gerechnet, dass ihr Vorschlag bei Martina Protest auslösen würde, dass sie aber so eine Szene machte ...
Karl hingegen schien das nicht weiter zu beschäftigen. Er gab Aiku einen Wink, der ihm sofort ein gefülltes Glas Dram brachte, und widmete sich seinem Essen, als wäre nichts geschehen.
»Bitte sag Amru, dass der Buchhalter kommende Woche eintrifft, sie soll im Gästehaus ein Zimmer herrichten.«
Er bemerkte Julies Nicken nicht einmal.
Am Nachmittag wurde Julie von aufgebrachten Stimmen aus ihrer Lektüre gerissen. Neugierig ging sie nach unten. Als sie das Haus durch den Hintereingang verließ und auf den Weg hinausrannte, stockte ihr der Atem. Fast wollte sie das Bild, welches sich ihr bot, nicht wahrhaben.
Kiri stand mit freiem Oberkörper bäuchlings an einem Baumstamm, neben ihr hatte sich einer von Karls Basyas mit einem Stock postiert. Neben ihm wiederum stand Martina, die ihn mit wütendem Gesicht anherrschte: »Fünf Mal habe ich gesagt, Gustav! Fünf Mal!«
Als der Mulatte zum ersten Schlag ausholte, sprang Julie dazwischen.
»Was ist hier los?« Sie platzierte sich genau zwischen Gustav und Kiri.
Martina sah sie feindselig an. »Geh aus dem Weg, deine Kiri hat eine Strafe verdient.«
Julie stemmte die Hände in die Seiten und funkelte Martina böse an. »Ach ja? Was soll sie denn verbrochen haben?«
»Sie hat den Putzeimer auf dem Flur stehen lassen, ich wäre fast darüber gestolpert«, antwortete Martina schnippisch.
»Gustav, binde sie los!«, sagte Julie so gebieterisch wie möglich. »Nun mach schon!« Sie hätte dem Aufseher am liebsten den Stock aus der Hand gerissen und
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