Im Land der Regenbogenschlange
Heerscharen Halbnackter, von denen man wünscht, man wäre ihnen nie begegnet. Und mit (deutlich weniger) Halbnackten, von denen man träumt, ihnen einmal â noch nackter â in die Augen schauen zu dürfen. Irgendwo entdecke ich schlieÃlich ein Schild, das mehrsprachig â auch auf Deutsch â »Keinerlei Schwimmen« anordnet. Ein Nicht-Schwimmer-Paradies, sozusagen. Ich kämpfe mich durch, auch durch die Beton-Gebirge, in denen das Volksvergnügen stattfindet, transpiriere, bis ich den Fluchtpunkt erreicht habe, den Strand, den wenig belebten. Dem Winter sei Dank.
Ich setze mich in den strahlenden Sand, lehne mich an einen einsamen Holzpfosten, zünde mir einen Zigarillo an und sehe sofort, dass ein Millionen Quadratkilometer riesiges Paradies vor mir liegt. Weil nichts mehr das Auge schmerzt. Ich zoome über das Meer auf den Horizont, der das Universum teilt. Unten blau, der Pazifik, oben hellblau, der Himmel. Sonst nichts, absolut nichts. Kein Mensch, kein Schiff, nicht eine Wolke. Und ich zoome zurück und aus dem rechten Off kommt ein Surfer, bronzefarben und schön wie ein Wassergott, und wedelt mit beispielloser Eleganz über die Wellen. Nur er im Bild, kein anderer. Wäre ich Frau, ich würde mich während der wenigen Sekunden in den Könner verlieben. Weil ich mir wohl unbewusst einbildete, er wäre auch auÃerhalb des Wassers elegant. Der Mann und sein Ritt entlang der schaumweiÃen Kronen sind ein Geschenk an die Welt, an jeden, der gerade das Glück hat, hier vorbeizukommen. Ich starre noch immer, auch dann noch, als er längst verschwunden ist. Das Paradies, wieder habe ich verstanden, ist immer irdisch.
Auf dem Rückweg durch die Heerscharen begegne ich einer der »world famous« (so werde ich gleich wissen) Surfers Paradise Meter Maids . Eine schöne Maid im goldblinkenden Bikini steht in der FuÃgängerzone, augenblicklich umstellt von drängelnden Touristen, die sich mit ihr fotografieren lassen. Dann hat Stella (kurz) Zeit und gibt Auskunft. Die ersten Schönen mit Schärpe wurden 1965 engagiert, da â bitte festschnallen â die damalige Inbetriebnahme von Parkuhren zu einem öffentlichen Aufschrei geführt hatte und die Stadtväter und Ladenbesitzer fürchten mussten, dass das paradise von den Besuchern aufgegeben wird, um sich woanders ein Paradies zu suchen. Ein parkuhrenfreies. Deshalb streifen seit über vierzig Jahren Bildhübsche mit Zweiteiler und Stöckelschuhen durch den Ort, immer auf der Suche nach Parkuhren, die abgelaufen sind. Und legen nach. Damit keiner aus Wut nie wiederkommt, damit â so kann man es im Prospekt nachlesen â »unsere Gäste und die Einheimischen länger beim Shoppen in unserem fabelhaften Shopping-Mekka bleiben«.
Ich habe dem Kapitalismus stets seinen Einfallsreichtum missgönnt. Jene Bauernschläue, die wie hier ein paar Cent investiert und gleichzeitig den (kärglich) Beschenkten die (dicken) Bündel aus der Tasche zieht.
Surfers Paradise verschafft Einsichten. Die Schönheit von Stella, die Schönheit des Meeres und die Bewegungen des Mannes, der auf ihm surfte, sie müssen nicht erklärt , nicht erobert werden. Man schaut hin und ist hingerissen. Anders jetzt: Nicht weit von der Parkuhr-Fee steht ein Buchladen. Kein Gedränge, niemand will mit der (durchaus ansehnlichen) Ladenbesitzerin fotografiert werden. Still und vollkommen unspektakulär liegen im Schaufenster die Bücher. Um ihre Schönheit zu erkennen, müsste eine Reihe von Hindernissen überwunden werden. Man muss Geld hergeben, man muss lesen können, lesen wollen, wissen wollen. Man muss Zeit haben, man muss Widerreden aushalten (des Autors), man muss kämpfen, denken, suchen, man muss beharrlich sein. Nichts von alldem, wenn die anderen Schönheiten auftreten, die Frauengesichter, die Männergesichter, ein Pazifik. Oder von irgendwoher â wie jetzt gerade â Nights in White Satin der Moody Blues zu hören ist. Der Genuss, das Entzücken kommen sofort. Alles flutet ungehindert in den Hypothalamus, ins Herz, in den Bauch, alles ist sofort erfahrbar. Die Wonnen sind kostenlos, sie verlangen keinen Verstand, keine Vernunft, keine Ausdauer, nicht mal ein einziges Wort Sprache. Wie ein Blitz fallen sie über uns her.
Wie Paul und Terry. Sie haben mich gespottet und beschlossen, dass ich den Ort nicht verlassen darf, ohne
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