Im Land der Regenbogenschlange
Leben eines Schreibers umstellen.
Und jetzt kommt der springende Punkt. Ich beobachte Jules sehr genau und könnte mit Sicherheit sagen, dass sie nicht einen Ratschlag von mir annehmen wird. Oder dass sie ihn annimmt, aber nach drei Wochen »Erfolglosigkeit« wieder aufhört. Der Hübschen fehlt das Glitzern in den Augen, die Wut ist nicht radikal genug. Die zwei wollen anders sein und sind nicht bereit, dafür den Eintrittspreis zu zahlen. Das Entschiedene fehlt, jene schwierige Disziplin, auf vieles verzichten zu müssen. Sie wollen den Komfort und den Traum. Ich schenke ihnen einen Satz von Charlie Chaplin: »Wie viele FuÃtritte habe ich gebraucht, bis ich das sagte, was ich sagen wollte.« Die beiden wollen keine Niederlagen verkraften, keine FuÃtritte, sie haben noch nicht verstanden, dass Begabung ohne Bereitschaft zur Mühsal nichts taugt. Das eine so unabdingbar wie das andere.
Nach einem feinen Abendessen fährt mich Robbie zurück in die Stadt. Wir reden über die Aborigines, ich erwähne Myall Creek und er sagt: »I am no racist, but ...«, aber die Schwarzen würden sich treiben lassen, nur faul die Hand ausstrecken, um Sozialhilfe abzuzocken. Er erzählt die Geschichte eines gewaltbereiten Jungen, der mit seiner Aborigines-Bande nichts als Unfrieden in seinem (Robbies) Heimatdorf stiftete. Bis er endlich vor Gericht gestellt wurde und die Rechtssprechung des weiÃen Mannes ablehnte, lieber nach »traditionellem Gesetz« verurteilt werden wollte. Als er erfuhr, dass auf seine Missetaten »SpieÃrutenlaufen« stand, widerrief er seine Forderung. »So sind sie eben, die Blackies.« Er, Robbie, er gehe nach »face value«. Nur was er sieht, face to face , dem vertraue er. Wenn ich mich als Deutscher redlich bei ihm benehme, dann bin ich eben redlich. Meinen Hinweis, dass die Mehrzahl der Aborigines nicht stiehlt, nicht schlägt, nicht ihre Kinder missbraucht, lässt er nicht gelten. (Ich argumentiere hier nicht als Gutmensch, sondern kenne die offiziellen Zahlen.) Robbie setzt nach, lässt sich zu der Behauptung hinreiÃen, dass gerade die Notzucht an Babys und Kleinkindern bei den Aborigines genetisch verankert sei.
Schon erstaunlich, wie ein Mensch, den ich als höflichen und gastfreundlichen Zeitgenossen kennnengelernt habe, als einen, der SpieÃern ausweicht und nach Weltwissen hungert (beteuert er zumindest), wie jemand einen so stinkblöden Stuss verbreiten kann. Diese Fähigkeit, die Wirklichkeit auszublenden, hat mich immer überrascht, mich bisweilen mit Neid erfüllt. Wer verdunkelt, hat mehr Ruhe im Kopf, muss ein paar Tausend Fragezeichen weniger aushalten.
Frühstück, Zeitungslektüre. Lachen verboten, man lacht trotzdem. Unter Lokales steht, dass ein (herzkranker) Autofahrer â nur Ecken von meinem Tisch entfernt â in die Filiale einer Immobilien-Agentur raste und dabei Ellen W., eine Angestellte, tötete. Jetzt der absurde Teil der Nachricht. Ihre Kollegin Sandi H. hatte Sekunden davor das Büro verlassen, um drauÃen eine Zigarette zu rauchen. Wie der Polizeibericht bestätigte, schoss der Wagen »three inches«, 7½ Zentimeter, exakt eine Zigarettenlänge, an ihr vorbei, zielgenau auf die notorische Nichtraucherin Ellen zu. »Rauchen tötet«, heiÃt es allerorten, keine Rede, inhalieren kann Leben retten!
Südlich von Brisbane beginnt die Gold Coast , etwa 35 Kilometer Strand, das Santa Monica Australiens. Ich bin tollkühn und fahre nach Surfers Paradise , so nennt sich die Stadt tatsächlich, sie gilt als Zentrum der Goldküste. Nun, der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges stellte sich das Paradies als unerschöpfliche Bibliothek vor. Bei Mohammed, dem Propheten des Allgütigen, geistern achtzig ebenfalls unerschöpfliche Jungfrauen durch das Jenseits. Und für zwei Millionen Aussies (pro Jahr) liegt hier der Garten Eden: Er ist verstellt mit Frittenbuden, mit hundert gleichzeitig plärrenden Popsongs, mit Wänden voll flirrender TV -Screens, mit tausend oder fünftausend Sales-Shops , mit Body-Piercing-Shops , mit Beer-Wine-Spirits-Shops , mit Protein-Shops (»built up your muscles«), mit Share-The-Love-Phone-Shops (wo sie Handys mit einem speziellen Programm verkaufen, um jemandem blitzschnell einen Kredit â den sie hier Liebe nennen â zukommen zu lassen).
Surfers Paradise als Vergnügungs-Landschaft mit
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