Im Land der Regenbogenschlange
gebeten, sich den Fluchtweg einzuprägen. Gibt es eine penetrantere Rasse als den verbotshungrigen Biedermann, der mit Vorschriften das Leben seiner Mitmenschen verstellt?
Abendessen an der Theke. Sieben andere »lost souls«, so sagen sie hier, stehen neben mir. Ich lerne das Lehrer-Ehepaar Burns kennen, Ben unterrichtet und Jill will schreiben. Und gelesen werden. Das kenne ich jetzt schon. Doch heute bin ich giftig und frage, was sie inzwischen unternommen hat, damit das Reden übers Schreiben aufhört und das Schreiben und Veröffentlichen beginnt. »Not much.« Bravo. Jill gehört wohl zum Stamm der Schlafmützen, die darauf warten, dass ein Verleger vorbeikommt und ihnen mit dem Karabiner im Anschlag das Skript entreiÃt, das in der Küchenschublade schlummert.
Tippy stellt sich vor mir auf, schwingt das Bierglas und schreit: »I hate Germany«. Keine Ahnung, woher er weiÃ, dass ich Deutscher bin. Die anderen machen Zeichen, cool zu bleiben. Tippy sei in Ordnung, nur stundenweise stockblau. Der Mann ist Aborigine, arbeitslos und als laut und harmlos bekannt. Jemand schiebt ihn sacht zur Seite. Ich höre keine hassgetränkten Bemerkungen, wie ein Kind scheinen sie ihn zu behandeln. Nach einer halben Stunde kommt er wieder und sagt: »Sorry«. Der vielleicht 40-Jährige ist die erste direkte Begegnung mit einem Problem, das als schier unheilbarer Fluch etwa ein Drittel der Ureinwohner heimsucht: der Alkoholrausch, der Zwang, die sinnlos gewordene Existenz zu ertränken, zu versaufen.
Am nächsten Morgen weiter mit einem Lift, den der Star-Hotel-Boss organisiert hat. Hier gibt es keine Busse, kein öffentliches Transportmittel. Ich will nach Cracow. Durch ein paar Zeitungszeilen erfuhr ich von einem Mann, der Umwege wert ist.
Shine sitzt am Steuer, der Aborigine sieht gut aus. Natürlich bin ich überrascht, hatte längst abgespeichert, dass sie alle mit breitem Schädel, dicken Nasen und dicken Lippen unterwegs sind. Shine hat ein fein geschnittenes Gesicht, ein feines Lächeln. Er fährt zur Arbeit, neben Cracow gibt es die Newcrest Mining , ein Bergbauunternehmen, das nach Gold sucht. Jetzt wieder sucht, denn die Stollen waren vor langer Zeit aufgegeben worden. Nun verfügen sie über eine Technik, die an Schichten rankommt, die früher unerreichbar waren. Shine arbeitet acht Tage, von 7 bis 19 Uhr, dann hat er fünf Tage Urlaub. Um vier Minuten nach acht müssen wir scharf bremsen, ein Känguru-Paar, Mutter und Kind, überquert die Piste. Kängurus haben immer Vorfahrt. Wie elegant sie über die Welt hopsen.
Die Fahrt dauert eine gute Stunde, Shine lässt mich vor dem Cracow-Hotel raus, um diese Uhrzeit noch geschlossen. Es ist das einzig (einwandfrei) funktionierende Gebäude vor Ort, der knapp hundert Jahre lang als gold town boomte und nach dem Boom als ghost town verrottete. Ich wandere los, der Himmel strahlt, Geisterstädte haben einen ganz eigenen Charme. Zwischen den verwaisten Behausungen steht ein Verkehrsschild mit einem aufgemalten LKW -Anhänger, von dem die Fracht auf die StraÃe fällt, Text: »Bedecke deine Ware â Höchststrafe 1.237,50 $«. Das amüsiert umso mehr, wenn man kurz darauf erfährt, dass die 70 oder 80 hier Zurückgebliebenen mit 5,0 Promille im Kopf ihre Autos chauffieren. Wie in New York, so sind auch in Cracow die StraÃen durchnummeriert. In der 5th Avenue (sic!) komme ich allerdings nicht an Tiffany's vorbei, sondern an einem ein-samen Gaul, der treuherzig auf mich zutrottet und gestreichelt werden will.
Nicht weit vom geisterhaft leeren Krankenhaus sehe ich in einem vermüllten Garten einen Mann arbeiten. Als ich ihn anspreche, weià ich noch nicht, dass ich ihm einige der intensivsten Stunden dieser Reise verdanken werde. Rik trägt Zöpfe und ist unendlich sanft. Umgehend werde ich in den abbruchreifen Bungalow gebeten, wo er zu einem »herbal tea« einlädt. Rik will die Bude sanieren. Ein Blick reicht und man weiÃ, dass nur Herakles oder eben ein 50-jähriger Australier zu solchen GroÃtaten fähig sind. Jedes Ding wird recycled, kein krummer Nagel weggeworfen, alles kommt in Töpfe und Eimer, zukünftiger Nutzung harrend. Logisch, denn der Sanfte ist schwer im New-Age-Business tätig, sein derzeitiger Lieblingsgedanke stammt von Edgar Cayce. Der sleeping prophet aus den Staaten weissagt, und Rik weissagt es auch, »dass die
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