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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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ich rase als nutzloser Copilot mit. Bis ich wieder bei Trost bin und checke, dass alles um mich herum echt ist, lebendig. Aber nur Sekunden bei Trost, dann döse ich trotz heftiger Willensanstrengung weg, penne ein. Um ruckartig in die Spielhölle zurückgebeamt zu werden, sobald Joey zu reden beginnt. Denn er macht immer dann den Mund auf, wenn ich mit dem Kopf, wie peinlich, auf seinem Schoß gelandet bin, sodass ich verschreckt aufwache und uns einmal mehr über den Screen jagen sehe, meist drei Meter vor dem Gipfel einer Steigung. Natürlich käme jetzt im virtuellen Leben, sofort nach Erreichen des Anstiegs, eine mörderische Gefahr auf uns zu, ein Slalom fahrender Roadtrain mit drei Anhängern, ein brennendes Auto mitten im Weg, ein zu tief fliegender Helikopter, ein Rudel querwetzender Kängurus, doch nein, nichts kommt. Denn ich bin ja inzwischen wieder bei Sinnen, sehe nur die kerzengerade Straße vor uns, bisweilen flach, bisweilen gesäumt von Busch und Wäldern. Das Outback ist leer, kein Gegenverkehr. Adrenalin spritzt trotzdem. Weil auch im wirklichen Leben eine Steigung kommt und das Vehikel ganz oben zwei, drei Meter nach vorne springt, aufprallt und weiter nach unten rast. Wie eine Schlange starre ich auf den heißen, dunklen Asphalt, sehe meine nassen Hände, denke an Hitchcocks Über den Dächern von Nizza und Cary Grants verkrampfte Hände, angstverkrampft, da Grace Kelly haarnadelkurvig die Riviera entlangrast, weiß im selben Augenblick noch, dass Grace längst tot ist und Joey ganz anders aussieht. Merke zuletzt, dass alle meine Gedanken nicht schreckhaft sind, doch, schon schreckhaft, aber irgendwie soft schreckhaft, unwirklich, denke wohl zu langsam, um zu kapieren, worauf ich mich eingelassen habe, ja das Blödesein genieße, zwischendrin eselhaft lache, nein, eher ein meckerndes Kichern, das nichts als Glück verrät. Dann sacke ich wieder weg, war gerade so lange bei Verstand, wie Stresshormone vorhanden waren. Das ist ja das Ergreifendste an diesem Freitag: Ich will es nicht anders, ich will nicht sterben, natürlich nicht, aber ich habe nicht die Kraft, Joey um eine Entschleunigung anzuflehen, nicht die geistigen Fähigkeiten, nicht den Willen, ihn an sein elf Monate altes Baby zu erinnern, an die liebe Frau, von der er am Lagerfeuer so geschwärmt hat. Wie denn auch? Der Goldsucher macht einen ungemein aufgeräumten Eindruck. Ich schiele nach rechts und sehe den Hell-Raiser in seinem Hochgeschwindigkeits-Outfit, mit den futuristischen Sonnengläsern, der hellroten Schirmmütze, dem gelben T-Shirt, sehe den 1000-Liter-Bierbauch, der sich fettweich um die untere Hälfte des Lenkrads schmiegt, sehe die violette Radrennhose, die unglaublichen Waden, die ungeschnürten Turnschuhe. Sehe den nonchalanten Lebemann, wie er – nur unterbrochen von Zigarettenpausen – hochproteinhaltige Flüssigkeiten zu sich nimmt, Flaschenbier und mixter , jene mit Cola gemischten Jack-Daniel's-Dosen, dabei nie zwei Hände braucht, immer den Deckel oder die Lasche souverän mit seinen Bergarbeiterzähnen abreißt. So sind wir unterwegs auf unserer Spritztour. Joey, der sorgende Familienvater, Vollgas-Hooligan und Konsument von mindestens zwei Eimern spirits die letzten zwanzig Stunden, und ich, das haltlose Würstchen, zu schwächlich, um den rechten Arm zu heben und dem Wahnsinn Einhalt zu bieten. Der noch zunimmt, als Joey begriffen hat, dass mein Haschisch-Taumel tiefer geht, als uns beiden lieb ist, und er nun – fünf Mal, zehn Mal? – zu einer Predigt ansetzt, die eine böse Zukunft von nationaler Tragweite ahnen lässt: dass ich auf dem »horror« gelandet sei, von dem ich Monate nicht mehr herunterkommen werde (solche Fälle gibt es), und somit ins »rehab« müsse, in die Rehabilitationsklinik. Auf Kosten des Staates und Steuerzahlers. Das ist aberwitzig lustig, denn in Momenten, in denen ich kapiere, dass das Leben gerade wieder wirklich ist, versuche ich – die Mahnrede des Alkoholsüchtigen im Ohr – eine Haltung einzunehmen, die irgendwie zu der Hoffnung Anlass gibt, nicht den Rest meines Daseins in einem australischen Psycho-Sanatorium dahinsiechen zu müssen. Doch auch diese Phase vergeht und mein Supersonic-Chauffeur sagt wieder ganz normale Sachen, sagt »fucking long stretch« oder »fucking hot today« oder »fucking crap land here«, eben eine

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