Im Land der Regenbogenschlange
wieder mit dem Wahn in Berührung, den sich der auÃer Rand und Band geratene Philister zur Abschaffung menschlicher Freiheiten hat einfallen lassen. Joey fällt mir ein, vielleicht sind seine Sauflust und Raserei nur heimlicher Protest. Um sich über Umwege das Gefühl zurückzuholen, dass er noch existiert.
Ich verziehe mich nach hinten. Bin trotzdem guter Stimmung, 22 Stunden ist jetzt Zeit, Pläne zu schmieden, vorzudenken, nachzudenken, zu lesen. Coach-Captain Brad hält sich zurück, seine Reglementierungs-Tirade dauert nur elf Minuten. Dafür weist er vor Ankunft auf einem Rastplatz stets darauf hin, wo sich die ATM befindet, jene Konsole, um per Kreditkarte Geld abzuheben. Das muss für einen Bewohner von einem fernen Stern fantastisch klingen: Bei den WeiÃen stehen alle paar hundert Meter Maschinen herum, die Banknoten verteilen.
Ich habe einen Stoà Zeitungen mitgebracht, in einem Sonderdruck werden »Our 100 wonders of Queensland« vorgestellt, hundert Männer und Frauen. Ãber ihren gut genährten Gesichtern hängen die fetten Dollar-Ziffern ihres Vermögens. Bedauernswerte 30-Millionen-Schlucker neben Milliardären. Ich bin wieder Kind und lerne: Ob Friseursalon-Inhaber, Bauunternehmer, Investment-Banker, Schafherden-GroÃgrundbesitzer oder Surfbrett-Hersteller â jeder die Hosentaschen voller Goldbarren, jeder ein Wunder.
Nachts kommt ein Bericht im Radio über einen tatsächlichen Wundermenschen. Hier seine Geschichte, die wunderlicher nicht sein könnte. Im Jahr 1864 wird Antony Martin in der Nähe von Sydney geboren. Als Sohn einer Aborigine-Mutter und eines Vaters, der Nachfahre afro-amerikanischer Sträflinge ist. Der Junge schlägt sich als Fahrer durch, die Mutter stirbt früh. Der Gedanke an sie, so wird er später notieren, war »the guiding star« in seinem Leben. So viel Ehrgefühl und Kraft habe sie gehabt. Als 23-Jähriger ist er Zeuge eines Mordes, vor seinen Augen wird ein »negro« von zwei WeiÃen getötet. Das Gericht verweigert ihm die Aussage, die beiden werden freigesprochen. Antony Martin hat seine Aufgabe gefunden, er will bezeugen.
Er verlässt Australien, reist durch Asien nach Europa, arbeitet als SchweiÃer, Edelstein-Polierer, Spielzeughändler und Bediensteter. Beginnt in Zeitungen zu veröffentlichen, sein Thema ist immer dasselbe: auf die Tragödie der australischen Ureinwohner aufmerksam zu machen. Während er in Italien lebt, legt er sich â »aus Respekt vor dem italienischen Volk, aus Dankbarkeit« â den Namen Fernando zu, nennt sich ab jetzt Antony Martin Fernando.
Er reist weiter, wird während des Ersten Weltkriegs in Ãsterreich interniert, kontaktiert die amerikanische, die australische, die englische Botschaft, keine will sich für ihn einsetzen, die Regierung in Melbourne (damals noch Hauptstadt) erkennt ihn nicht als Bürger des Landes an. 1919 kehrt er nach Mailand zurück, arbeitet wieder als Mechaniker, schreibt dem Papst, interviewt Mitglieder des Völkerbunds (Vorläufer der UNO ) in Genf, bringt einen Artikel mit seinem Anliegen in der deutschen Presse unter, spricht inzwischen fünf, sechs Sprachen, verteilt Pamphlete, auf denen nachzulesen ist, wie »die Briten meine Leute ausrotten«. Mit knapp sechzig wird er nach England abgeschoben.
Ein Londoner Anwalt verschafft ihm eine Stelle als Hausmeister, finanziert ein Stipendium und fordert ihn auf, sein Leben niederzuschreiben. Aber Mister Fernando will unabhängig sein, reist weiter, will nicht von sich erzählen, sondern vom Kreuz, ein Aborigine zu sein. Unvergessen, so heiÃt es, waren die Auftritte des Mannes mit dem langen grauen Bart und dem übergroÃen Mantel, an dem Hunderte von winzigen Skeletten aus Gummi hingen. Die baumelnden Knochen, so erfuhren die Zuhörer, sollten daran erinnern, was »Australien von unserem Volk übrig gelassen hat«.
Weitere Verurteilungen warten, auch für das Drohen mit einem Revolver. Als Antwort auf eine rassistische Frechheit. Bemerkenswert noch, dass Antony Martin Fernando von allen Beteiligten, auch von seinen Gegnern, auch von den Gefängnis-Ãrzten, als auÃergewöhnlich intelligent beschrieben wurde. Und als freundlich und »gentleman-like«. Als solcher und als nimmermüder Aufklärer stirbt er 75-jährig. Goldbarrenlos, dafür schön arm und schön widerspenstig.
Am frühen
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