Im Land der Regenbogenschlange
Besatzung springt hinterher, zwei beobachten vom Schiff aus die Lage. Ãber die Hälfte der Gäste schnorchelt, ich auch. Ich
beneide jeden, der tauchen kann. Was für ein elegantes Vergnügen. Aber der Neid vergeht, weil Sekunden später und nur Meter unter dem Meeresspiegel das Wunder, das Weltwunder sich ausbreitet. Eine gute Stunde lang. Ich werde mich jetzt nicht im Ton vergreifen und von meiner Sprachlosigkeit stammeln. Jeder, den es hierher verschlägt, soll den Mund halten und irgendwann einen Blick auf seine Haut werfen, seine Arme, die Beine. Weil sie zu fluoreszieren anfangen â vor Glück, vor unmäÃigem Glück.
Als wir zurück aufs Schiff kommen, wird penibel genau nachgezählt, jeder einzelne Name auf der Passagierliste aufgerufen, jeder muss sich melden. Die Genauigkeit hat Ursachen. Aus verständlichen Gründen reden sie nicht darüber, nicht hier, nicht an Land. Aber der Fall ging durch die internationale Presse: Am 25. Januar 1998 verschwindet das Ehepaar Tom und Eileen Lonergan. Die beiden reisten um die Welt, hatten für Peace-Corps auf der Pazifikinsel Tuvalu gearbeitet, reisten weiter, machten Station in Australien. An jenem Sonntag unternehmen sie, mit 24 anderen, auf der Outer Edge eine Tauchtour. Keine besonderen Vorkommnisse, um 3 Uhr nachmittags werden die zwei Amerikaner von anderen Teilnehmern zum letzten Mal gesehen, in zwölf Meter Tiefe. Jung, in Form, wahre Profis.
Als sie wieder auftauchen â spätestens nach sechzig Minuten, länger reicht der Sauerstoff nicht â, ist das Boot verschwunden. Das muss kein Todesurteil sein, sie haben als Verbündete die Tauchanzüge und Schwimmwesten. Als Feinde haben sie die Haie, das ungenieÃbare Meer, die Queensland-Hitze. Auf dem Boot, so wird die spätere Gerichtsverhandlung zeigen, fällt ihre Abwesenheit keinem auf. Obwohl gecheckt wurde, »but something went wrong«. Selbst am nächsten Tag, als die Outer Edge mit anderen Leuten an genau dieselbe Stelle zurückkehrt, schlägt niemand Alarm. Erst 48 Stunden nach dem 25. Januar findet der Skipper die Pässe und Brieftaschen von Tom und Eileen Lonergan. Die Suche, die frenetische Suche, beginnt. Vergeblich.
Monate später wird ein Fischer, etwa 160 Kilometer weiter nördlich, eine Schiefertafel erspähen, ein typisches Werkzeug für Taucher, um ein paar Zeilen zu notieren. Die Nachricht ist eindeutig, Tom schrieb: »Monday Jan 26, 1998, 08 am. To anyone who can help us: We have been abandoned on Agincourt Reef by MV Outer Edge 25 Jan 98, 3 pm. Please help us come to rescue us before we die. Help!!!«
Andere Indizien tauchen auf. Ein Neoprenanzug wird angeschwemmt, genau die GröÃe Eileens. Wissenschaftler untersuchen die Muscheln, die am ReiÃverschluss kleben, wollen wissen, wie lange sie sich dort schon befinden. Das Ergebnis: seit Ende Januar. Eine Flosse treibt an die Küste sowie die aufblasbaren Taucherwesten, jedes Stück versehen mit den Namen der vermissten Besitzer. Keine der Fundsachen weist gröÃere Beschädigungen auf, eindeutiger (?) Beweis, dass die zwei nicht Opfer von Raubfischen wurden. Experten spekulieren, dass die beiden nach Tagen und Nächten der Dehydration und Hoffnungslosigkeit möglicherweise die Nerven verloren und sich im Delirium die Schutzkleidung vom Leib rissen. Was nichts als ein noch schnelleres Ende befördern würde. Aber auch das nur Theorie, eine unter anderen.
Die Sensation fand sich woanders. Im Gepäck des Paars, zurückgelassen in einer Pension in Cairns. Das Tagebuch der jungen Frau las sich wie ein Krimi. Die nach auÃen gezeigte Harmonie war nur Fassade, Ehemann Tom litt unter Depressionen, sprach davon, »während eines Tauchausfluges mit allem Schluss zu machen«, ja schlug vor, »mich mitzunehmen«. Wie immer man »to take me with him« deutete, es verhieà nichts Gutes. Aber ein Tagebuch ist nicht die Wirklichkeit, muss sie nicht sein. Mord und Selbstmord? Doppelselbstmord? Mord und Unfall? Nur Unfall? Bis heute ist nichts geklärt. Das Gerichtsurteil lautete auf Freispruch für Kapitän und Besitzer der Outer Edge, die Konklusion der Richter: »an accident«. Wie zu erwarten, sorgte der Prozess für Schlagzeilen. Wohl auch, weil ein bedeutender Wirtschaftszweig des zweitgröÃten Staates Australiens in schwere See geraten war. Vier Millionen Ausflüge pro Jahr bedeuten viel Geld, sehr
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