Im Land der Regenbogenschlange
ich zu spät komme, der 90-Jährige ist kürzlich verstorben. Auch er, so lässt sich auf einen Blick erkennen, galt als begeisterter Fan der australischen Volkskrankheit. Noch immer stehen Kisten und Schubkarren voll leerer Flaschen herum. Harry's Home sieht aus wie ein Steinbruch, ein ebener Platz umgeben von Natursteinwänden mit (verschlossenen) Holzverschlägen. Hinter denen wohl seine Gemäuer liegen. Büffelkopfskelette liegen herum, Blumentöpfe, fünf Schrottautos, auf Blech gemalte Pin-ups, ein Holzbrett weist zum Shitatorium , Kubikmeter Gerümpel rotten in jedem Eck, aufgehängtes Blechgeschirr klappert, Damen-Slips flattern, viele Damen-Slips. Harry, der Fantast. Zuletzt hat er in fünf Meter Höhe über einem Felsen eine vollbusige Indianerin aus Styropor installiert. ÃberlebensgroÃ. Sinnigerweise auf einem Auspuff reitend, der mitten durch ihre Styropor-Vagina führt. Man darf vermuten, dass Harry, the lonely , hier drauÃen viel Zeit für feuchte Träume hatte.
Rückweg. Wie es der Teufel will, ist der Wind wieder der Gegenwind. Dafür bekomme ich eine Fata Morgana geschenkt, eine echte. Denn irgendwo mittendrin steht das Wort Golf course , und ich biege ab, um vor dem hässlichsten Golfplatz der Welt zu landen. Nur die Greens sind grün, der Rest steinharte Pisten, ohne Baum, ohne Schatten. Ein Spieler kommt gerade, ich spreche ihn an und erhalte eine Broschüre, in der die lustigsten Sachen stehen: Nicht nur der hässlichste, auch der billigste Golfplatz befindet sich hier. Nur 90 AU $ (sechzig Euro) werden pro Jahr und Mitglied berechnet. Dafür 18 Löcher, auf denen Kängurus, Klapperschlangen und modernde Stollen im Weg stehen. Aber â und hier kommt die Sensation â der 1977 eröffnete Verein hat ein Abkommen mit dem exklusivsten, dem snobistischsten aller Vereine unter der Sonne unterzeichnet, mit St. Andrews. Dort, wo Sean Connery sein Handicap zu verbessern versucht, und ein Klubhaus sich erhebt, wo ein Kännchen Tee mit zwei Stück Sandkuchen sicher mehr kosten als 125 Pizzas aus Coober Pedy. Konkret: Wer hier im Outback dabei ist, darf kostenlos in St. Andrews aufspielen. Noch haben keine drei Prozent der hiesigen Cracks davon Gebrauch gemacht, aber allein die Vorstellung, dass sie könnten, wenn sie nur wollten (sich trauten!), macht sie glücklich. Ach ja, selbstverständlich dürfen auch die St.-Andrews-Spieler spesenfrei hier in der Steinwüste einputten. Das Angebot gilt seit Jahren, geduldig warten sie noch immer auf die ersten Freiwilligen aus Schottland.
Coober ist ein wundersamer Ort, in dem es keine groÃen Unternehmen mehr gibt, wo aber noch Hunderte von Glücksrittern nach Opal picken und schaufeln. Ãber eine Viertel Million Mal haben sie inzwischen die Erde angebohrt. Wie im richtigen Leben auch wurden ein paar von ihnen stinkreich. Und der Rest kommt über die Runden, noch immer fest an Wunder glaubend. Noch immer. An einem Platz wie hier, gottverlassen, weltverlassen, heiÃ, kalt und sturmverbraust, da sind sie besonders hellhörig, auch für das Wunderblaue, das ihnen vom Himmel herab versprochen wird. Viele Kirchlein stehen herum, jedes von ihnen ein Höhlen-Kirchlein, jedes mit eigenem Gottessohn.
Ich betrete die Revival church , die Wiederbelebungs-Kirche. Auch sie ins Erdreich gefräst. Gleich am Eingang liegen die Lebensläufe der von Jesus Geretteten aus. »Before« und »after« kann man sie bestaunen. Man sieht einen gewissen Otto Visser, der (vorher) an einem Lymphdrüsen-Krebs mit einer gewaltigen Ausbuchtung am Hals litt und (nachher) »von Jesus per Chemo-therapie gerettet wurde«. Das ist natürlich verwirrend, da man erwartet hatte, dass Otto â eine Bildergalerie zeigt das langsame Verschwinden der monströsen Geschwulst â einfach mittels Niederknien vor dem Herrn Erlösung fand. Nein, eine Chemotherapie musste her. O.k., ein halbes Wunder, denn die meisten brauchen viele Pillen, um eine solche Beule zu besiegen, Otto brauchte nur eine einzige. Die anderen Wiederbelebten wurden von Aids geheilt, von Depressionen, von Hautkrebs. Damit keine Missverständnisse aufkommen: All die Mirakel stehen natürlich nur dem zu, der sich in der türkisblauen Badewanne, die adrett neben dem Altar steht, untertauchen und taufen lässt. Die Ungebadeten, die Badewannenlosen, können freilich lange auf des Herrgotts Segnungen
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