Im Land der Regenbogenschlange
gesucht, jenes Verzeichnis, in dem meine über die Jahre zusammengetragenen Lieblingsgedichte stehen. Und habe eine Strophe aus Odysseas Elytis' Dem kleinen Nachtwind abgeschrieben, auf Neugriechisch. Hatte ich doch damals aus der zweisprachigen Ausgabe beide Fassungen gescannt, das Original und die deutsche Ãbersetzung. Der Dichter und Nobelpreisträger (1979) betrauert hier den Tod seiner Geliebten:
Lebt wohl, ihr Gärten, Schluchten ihr, lebt wohl
lebt wohl, ihr Küsse, Zärtlichkeit, lebt wohl
Lebt wohl, ihr Klippen und du, heller Strand
lebt wohl, ihr Schwüre für die Ewigkeit.
Nach dem Frühstück übergebe ich dem Manager, der sich ebenfalls einen banalen Allerwelts-Vornamen zugelegt hat, und den ich nach einem meiner Helden umgehend »Prometheus« taufe, die vier Zeilen. Aus reiner Berechnung. Weil ich wusste, dass der Grieche jetzt vor Ergriffenheit stammeln und nicht fassen wird, dass ihm einer in diesem »dusty shithole« â so Toni und Agamemnon â eine Nachricht aus seinem Land überbringen wird. Und so ist der Moment gekommen, ihn nebenbei scheinheilig zu fragen, ob er jemanden wüsste, der mir ein Fahrrad leihen könnte. Ãberflüssige Frage, eine Minute später bin ich mit Prometheus' Eigentum unterwegs.
Das werden interessante 48 Stunden. Coober Pedy, das staubige ScheiÃloch mit Dusty Radio ( FM 104.5) als Lokalsender, hat was, hat vieles. Zuerst einen fantastischen Wind, der nur selten aufhört, über das Wüstenbrett zu brausen. Ich besorge mir einen Plan und trete an. Gegen die Böen. Denn seit ich Rad fahren kann, verfolgt mich das Gefühl, dass noch niemals ein Rückenwind hinter mir her war.
Den Friedhof suchen. Je gröÃer ein Land, desto vager die Angaben. Auch wollen Hinweisschilder hier nichts bedeuten, längst hat der Wind sie in eine andere Richtung verbogen. Nun, wegen seiner Schönheit kommt hier niemand vorbei, ein armseliger Gräberverhau erwartet den Besucher. Viele Serben, Kroaten, Slowenen und Griechen liegen hier. Manche unter einem Kreuz mit Steinhaufen, manche unter einer Betonplatte mit Plastikblumen. Nicht viele der anwesenden Toten wurden älter als fünfzig. Aber keiner wurde gebettet wie Karl Bratz, der berühmteste deutsche Saufbold Mittelaustraliens, ersoffen im 43. Lebensjahr in einem Meer aus Hopfen und Malz. Selbst neben der letzten Ruhestätte steht ein Fass mit der Aufschrift Have a drink on me! Ein vorlauter Satz, denn setzt man die Pumpe in Bewegung, hört man nur noch Luft zischen. Sicher hatten Karls Kumpel die hundert Liter spätestens am Ende der Beerdigung weggekippt.
Ein Truck mit der Aufschrift Explosives kommt mir entgegen. Irgendwie passt das hierher. Ich bin auf der Suche nach Crocodile Harry's (sic!), noch einem Verrückten, weit drauÃen in der entgegengesetzten Himmelsrichtung soll er leben. Ich frage einen Coober Pedyier nach dem Weg und glasklar formuliert er die Antwort, wobei er die Hand Richtung Westen schwenkt: »Somehow down there.« Vor der Stadt kommt es mehrmals zu einer erstaunlichen Szene. Das Brausen ist jetzt so stark, dass das Fahrrad »steht«, ich nicht vom Fleck komme, keinen Zentimeter. Ich wünschte, mein Verleger sähe mich jetzt. Um sich einen Begriff davon zu machen, wie viel Schweià ich investiere für so erschreckend wenig Geld.
Aber irren macht reich, ich verirre mich auf ein Opalfeld. Aus der scheibenflachen Wüste ragt alle zehn, zwanzig Meter ein mullock in die Luft, jene jetzt wertlosen Haufen Erde, die bereits nach dem Mineral durchsucht wurden. Und neben jedem Haufen gähnt ein Loch. Don't walk backwards! , steht irgendwo. Damit keiner der Rückwärtsgeher spurlos verschwindet. Hier sieht es gut aus. Die wild ziehenden Wolken, die Tiefenschärfe, das endlos weite Land bedeckt mit Hügeln und Schächten. Und menschenleer. Kein Wunder, dass in dieser Gegend einer der Mad Max -Filme gedreht wurde.
Weiter. Irgendwann verwechsle ich eine Flugpiste mit einer StraÃe, irgendwann muss ich durch ein steintrockenes Flussbett, irgendwann darf ich hinter einem Auto herkeuchen, dessen Besitzer mir ein Stück des Wegs zeigt, irgendwann bin ich vor dem Haus von Harry, der eigentlich Avid von Blumenthal hieÃ, aus Litauen stammte und hier â typisch Mad Harry â die Democratic Republic of Crocodile's Nest ausrief. Ein Zettel an einer der Türen unterrichtet Nachtwächter wie mich, dass
Weitere Kostenlose Bücher