Im Land der Regenbogenschlange
haben Ruanda überstanden, leben und arbeiten jetzt in Australien. Man spürt ihre Begeisterung für die neue Heimat. Ich frage, was ihnen am besten gefällt, und sie rufen sofort und unisono: »La paix«, der Frieden.
Noch eine Szene, auch sie hebt das Lebensgefühl. Ich frage an der Rezeption eines Hotels nach der gröÃten Buchhandlung, will Papier riechen und anfassen. Und die bildhübsche Rezeptionistin beschreibt den Weg dorthin, sagt: »And then you see two wonderful big balls, straigt in front of the bookshop.« »Two balls?«, antworte ich leicht ungläubig. »Yes, two wonderfully shaped balls«, wobei sie mit ihren gepflegen Händen zwei Rundungen in der Luft formt. Ich beiÃe mir auf die Lippen, kein Männergrinsen soll mir entkommen. Auch das ist Reisen. Vorher zwei treffen, die einen Völkermord überlebt haben, und nachher vor einer stehen, die kindlich weltabgeschieden die frivolsten Wörter ausspricht. (Für die Nicht-Anglophonen: Balls haben nichts mit Frauenbrüsten zu tun.)
Ich gestehe, das war das Aufregendste für die nächsten 26 Stunden, denn nun wird es kriminell, kriminell fad. Um 18 Uhr 40 zieht der Indian Pacific aus dem Bahnhof, der Zug, der von Sydney über Adelaide nach Perth fährt, ans andere Ende von Australien. Und zurück, jedesmal 4352 Kilometer. Er überquert dabei die Nullarbor Plain , die 1200 Kilometer breite Null-Bäume-Wüste. Einen Highway mitten hindurch gibt es auch, aber Greyhound hat den Service vor Jahren eingestellt. Da ich nicht fliegen will, weil ich etwas sehen möchte, bleibt keine andere Alternative. Jede Vorahnung trifft ein. Die gemein hässlich ausgestattete zweite Klasse, eine Lounge , die aussieht, als wäre sie in Nowosibirsk entworfen, dahinter eine Theke, wo man sich ein Essen abholen kann, das im todbleich ausgeleuchteten dining car dann jene Farbe bekommt, die in etwa seinem Geschmack entspricht. (Und das will was heiÃen für einen, der nichts von Speis und Trank versteht.)
Auf der Gangseite mir gegenüber sitzen zwei 90-Jährige, die mit offenen Mündern wie zwei Tote dasitzen. Vielleicht sind sie tot. Hinter mir ein fettes Proletenweib mit ihren Kindern. Man muss ihr zwanzig Worte lang zuhören, um zu wissen, wo ihre drei kleinen Töchter enden werden. In einem Proletenleben. Wie ein Roadtrain mit gewaltiger Luftverdrängung schwappt sie jede halbe Stunde an uns vorbei. Um Nachschub zu fassen. Ich lese in der teuer produzierten Broschüre der Great Southern Railways , dem Betreiber, dass ich mich gerade mitten im »ultimate adventure« befinde. Die alte Vettel Sprache, die für jede Lüge die Beine breit macht. Stolz wird noch farbenprächtig auf die Golden Kangeroo Class verwiesen, die Erste Klasse. Hermetisch von uns getrennt, kein Durchgang. Dort reisen die reichen 90-Jährigen. (Morgen werde ich zwanzig Ausreden erfinden müssen, um einen Blick erhaschen zu dürfen. Nicht eine Ausrede wert der Ausflug. Man blickt auf stilloses Geprotze.)
Nach dem Aufsagen aller (leider nie eintreffenden) Gefahren und aller Instruktionen, mittels derer wir sie besiegen könnten (leider nie dürfen), legt der Schaffner einen Film ein, dessen Anfangsdialoge sofort zum Einnicken verführen. Verstanden, der Schlaftrunk. Als es mir nochmals gelingt, die Augen zu öffnen, sehe ich, dass alle eingeschlafen sind. Alle überzeugt, kein »ultimatives Abenteuer« zu versäumen.
Die Nacht versitzen, wegdösen, wegsacken, irgendwann den Morgen erreichen und das Neonlicht-Frühstück einnehmen. Vor dem Fenster die baumlose Welt, nackt, platt, unfruchtbar, mit Bluebush (eine Akazienart) und Spinifexgras. Nicht mal ein Sonnenaufgang, nur hässlicher Himmel, hässliche Erde. Edward John Eyre, der Erste, der die Nullarbor 1841 durchquerte, beschreibt sie als »abscheuliche Abart«, als einen Platz, »der jeden mit schlechten Träumen überfällt«.
Kein Tier zu entdecken, die Eisenbahner-Bosse hätten zumindest ein paar Kängurus und Emus anheuern können, um uns aufzumuntern. Nichts. Flach, kahl, abstoÃend wie faule Zähne. Ich will mich retten und träume, denke an andere Zugfahrten, an Peru, wo es so hoch hinaufging, dass die Schaffner älteren Passagieren mit Sauerstoffgeräten zu Hilfe kommen mussten, an Indien, wo Travestiten und Transsexuelle mit wirren, flirrenden Augen die Passagiere betörten, an
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