Im Land der Regenbogenschlange
Fahrt, immer im Dunkeln, frühmorgens in Adelaide. Es gefällt mir sofort hier, obwohl es regnet. Aber Big Cities beruhigen mich. Ich bin kein Naturbursche, das Outback strengt an. Doch ich will nicht klagen.
Eine mittlere Sensation bahnt sich an. Seit 7300 Kilometern suche ich einen Schuster. Der Beruf scheint ausgestorben im Land, weil, so war mehrmals zu vernehmen, »Australier keine Schuhe reparieren lassen, sondern wegwerfen«. Hier in der Hauptstadt von South Australia weià der erste Mensch, den ich frage, die exakte Adresse. Um 7 Uhr 20 stehe ich vor der Werkstatt, um 7 Uhr 25 kommt der Werkstattbesitzer. Ein Traum von einem Schuster. Er verspricht, die beiden Löcher verschwinden zu lassen, und sucht â es gibt eine GroÃzügigkeit, die versteht man nicht gleich â ein Paar brandneue Stiefel heraus. Die soll ich inzwischen â Regen! â tragen und in zwei Stunden wiederkommen.
Vorbei am riesigen Hallenmarkt, vorbei an Männern, die auf breiten Schultern die Schätze eines stinkreichen Landes tragen, vorbei an Frauen, die elegant einem Taxi entsteigen, wobei mir bewusst wird, dass ich schon lange keine GroÃstadt-Frau mehr sah, die elegant einem Taxi entstieg. Was für ein mondäner Anblick.
Frühstück im Hungry Jack's , an den Wänden hängen Bilder von James Dean. Sein schönes, misstrauisches Gesicht, auch die berühmte Aufnahme mit ihm aus Giganten , die FüÃe cool auf dem Armaturenbrett, die Pose des Siegers (der Ãl gefunden hat), Text darunter: »Dream as if you'll live forever, live as if you'll die today.« Daneben die Fotos von Elvis Presley, der heute genau vor dreiÃig Jahren starb. Ich erinnere mich so deutlich an den Tag der Nachricht. Wie verschieden der Tod der beiden kam. Beide Ikonen, beide unsterblich. Aber Jimmy raste als 24-jähriger Rebell mit seinem Porsche Spider auf sein Ende zu, während Elvis, längst fügsam und angepasst, als drogensüchtiger, von Verstopfung geplagter Fettkloà von seiner Kloschüssel in Memphis fiel. Aber hier, im Hungry Jack's , ist die Geschichte gnädig, hier sieht man nur Elvis, the pelvis, die Sexbombe, the Voice , die Unglaubliches zur Steigerung des Glücksquotienten der Welt beigetragen hat, Ãberschrift: »Mothers, lock up your daughters.« So ungerecht geht es zu auf Erden. Some guys have all the luck.
Das Cover einer Illustrierten auf dem Tisch zeigt Catherine Deneuve, aufgenommen von Annie Leibovitz. Die Französin ist klug und schön. Das Interview beweist es einmal mehr. Andere Fotos zeigen Javier Bardem, den (hoch geschätzten) spanischen Schauspieler. Wie süchtig ich hinschaue, bin ausgehungert nach dieser Demimonde, diesen souverän inszenierten Lügen. Nicht, dass ich sie lange aushielte, aber ab und zu will ich der Wirklichkeit entkommen. Um mich von ihr zu erholen.
Der Fluchtversuch scheitert, wie vorhersehbar, er dauert nicht länger als ein paar Minuten. Die groÃe Reportage im Magazin behandelt wieder ein Thema, von dem der Kontinent besessen scheint. Die anschwellende Fettsucht. Unglaubliche Zahlen werden genannt, Rekordzahlen, die von Rekord-Speckschwarten berichten. Stinkreich macht stinkfaul, bewegungsfaul. Steht da. Der Artikel â die hier abgelichteten ZeitgenossInnen ähneln nur von fern Madame Deneuve und Señor Bardem â hat was Verzweifeltes, aber auch Hilfsbereites. Als versuchten die Dünnen der Stadt die Dicken vor dem Explodieren zu retten. Inzwischen mussten die auf 130 Kilo geeichten Sitze der Busfahrer nachgerüstet werden. Auf 150. Ein interessantes Wort steht da, um das Phänomen psychologisch zu deuten: »Comfort eating«, umständlich übersetzt mit: sich vollstopfen aus Unglück. Damit ein bisschen Tröstung in den Leib kommt.
Es regnet noch immer. Beim Schuster vorbeischauen und die Kunst seines Handwerks bewundern. Mit neuen FüÃen verlasse ich den Laden. Rüber in die (kleine) Chinatown. Hier gibt es überdachte Tische, ich will rauchen. Ich sehe einen alten Chinesen mit Haarzopf näherkommen, sofort bete ich, dass er mir jetzt konspirativ die Adresse einer Opiumhöhle ins Ohr flüstert. Nein, man darf Adelaide nicht überfordern. Grüner Tee ja, Opium sicher auch, aber nicht hier und jetzt. Dafür nehmen zwei Schwarze am Nebentisch Platz. Afrikaner, da sie Französisch mit einem bestimmten Akzent sprechen. Wir kommen ins Gespräch. Zwei Tutsi, sie
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