Im Land der Regenbogenschlange
Wie das Brüllen einer Gefolterten. Mir ist, als wären Bild und Ton erst jetzt bei mir angekommen. Vielleicht war ich gestern zu müde, um sie »wahrzunehmen«, sie als Wahrheit einer Mutter zu begreifen. Der Baum tut gut, ich flenne und er scheint ganz einverstanden.
Ein Teil des King's Park ist ein botanischer Garten, über 2500 Pflanzenarten wuchern hier. Aber er sieht nicht klinisch aus, Wiesen gibt es, Wasser sprudelt, in einem Teich paddeln Küken, Jogger ziehen vorbei, seltsamerweise von keinem Blaulicht verfolgt, obwohl sie mit weit über neun Kilometer pro Stunde unterwegs sind. Familien picknicken, auch Aborigines. Ein paar Halbwüchsige spielen Frisbee, wieder gesetzwidrig, aber ein eklatanter Mangel an Aufsichtspersonal, so scheint es, trägt gerade zur Sinnlichkeit des Lebens bei. »Ordnung ist das halbe Leben, Unordnung die andere Hälfte«, sagen sie weise in Afrika.
Ich liege im Gras und höre Radio. Neben der Erfindung des Papiers, des Fahrrads und des Macs ist ein Weltempfänger die viertgröÃte Entdeckung. Die Schriftstellerin Jay Griffiths erzählt auf ABC , wie sie zu ihrem Beruf kam. Auf höchst originelle Weise. Der 5-Jährigen fällt zum ersten Mal ein Namenszug auf dem Cover eines Buches auf. Sie fragt die Mutter, was das zu bedeuten habe. Nun, das sei der Name der Person, die das Buch geschrieben hat. Welch unglaubliche Neuigkeit für Jay, denn bisher hatte sie immer geglaubt, dass Bücher wie Früchte, wie Luft, wie der Schnee zum Universum gehörten, einfach da waren, von Gott geschaffen. Jetzt begriff sie, dass man sie »machen« konnte. Und so enstand in ihr der Wunsch, ein writer zu werden, eben Gott.
Ich greife voraus, aber ich will das Hochgefühl keinem vorenthalten. Zurück in Paris habe ich Griffiths' Buch gelesen: Wild: An Elemental Journey. Die Schriftstellerin war eine Entdeckung für mich, als ein anderer Mensch erreicht man das Ende der 374 Seiten.
In Perth kann man viel über das Land lernen. Ein »Skandal« bricht gerade aus. Wahlkampf-Zeiten, John Howard, der aktuelle Premierminister der Liberalen, gegen Kevin Rudd, den Kandidaten von Labour. Wie überall wird nach Schmutzwäsche gefahndet. Und die Regierung wird fündig, findet heraus, dass ihr Gegner vier Jahre zuvor (!) einen New Yorker Stripclub besucht hatte. Das ist, wie sie im Outback sagen würden, »just chicken shit«, bedeutungslos. Der Skandal ist natürlich nicht Peeping Tom Rudd, der nackten Russinnen beim Ausziehen zuschaute, sondern Rudd, der nun sofort zu buckeln anfängt, sich sofort öffentlich entschuldigt und um Vergebung bei seiner Frau nachsucht. Was für ein Männchen. Und sofort wogen Fragen über Fragen durchs Land. Waren die Damen nackt? Halbnackt? Hat Rudd angefasst? Oder hat sich der Christ und Kirchgänger gar zum Lapdance ins dunkle Eck verzogen?
Aber nun kommt das Australien, das ich liebe, das eben nicht die nach protestantischem Sado-Masochismus stinkende Clinton-Lewinsky-Affäre nachstellt, sondern seinen eigenen Weg geht. Denn rasch erkennt ein GroÃteil der Presse das immense Satire-Potenzial, das in diesem Kinderpopo-Ausflug steckt. Unter dem genialen Titel »Kevin alone in New York« wird aus allen Rohren auf die moralisch Hochgerüsteten gefeuert. Scharf und fidel wird darüber diskutiert, ob Rudd nun »faktisch« gesündigt habe oder nur in Gedanken gesündigt. Oder in Tat und Gedanken gesündigt? Ja, ob Sündigen in Manhattan doppelt schwer zählt? Die ganze Latte letzter moraltheologischer Fragen wird ausgeleuchtet. Man sieht grausam erheiternde Cartoons, sieht Rudd â in Anspielung auf den krokodilstränennahen Clinton, der 1998 von drei »Gottesmännern« flankiert um »geistlichen Beistand« bat â sieht Kevin im »Oral Office« sitzen und dieselbe Hanswurstiade der Welt vorführen. Ja, Auszüge aus den (fiktiven) »heimlichen Tagebüchern« von Therese, Rudds Frau, werden vorgelegt, in denen sie davon spricht, wie sehr sie von ihrem Gatten gelobt wurde. Hat sie doch die New-York-Story lanciert. Um sein biederes Image â Rudd sieht aus wie ein Staubsauger-Vertreter aus Malmö â aufzupolieren. Denn Australier lieben Virilität, lieben einen echten bloke , einen richtigen Kerl, »who has blood in his veins«. Ein Journalist schreibt, und man könnte ihn küssen dafür, dass man â mit Blick auf das
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