Im Land der Sehnsucht
möglichst nah beieinander sein.“
„Mein Gott, wie nervtötend du bist!“ Lois hatte an der Tür gehorcht und betrat unaufgefordert das Schulzimmer. Dass Georgina um die Einwilligung der verhassten Erzieherin bettelte, war ihr unerträglich.
Marissa räumte gerade den Raum nach ihren Vorstellungen um, während die Kinder malten. Riley war dabei, eine Raumfähre mit Astronauten zu entwerfen, während sich Georgina an einem sumpfigen Waldgelände versuchte, das von vierbeinigen schwarzen Wesen bewohnt war, die Riley mühelos als Wildschweine identifizierte.
Beim Klang von Lois’ scharfer Stimme geriet Georgina sofort in Wut und schrie über die Schulter: „Was geht dich das an? Du hast ja keine Ahnung!“
„Georgy … bitte!“, ermahnte Marissa die Kleine, obwohl Lois’ Worte sie empörten. „Dreh dich wieder um, und konzentriere dich auf dein Bild.“ Es fiel ihr nicht schwer, wieder in die Rolle der Lehrerin zu schlüpfen. Sie hatte sich mit ihrer ruhigen, bestimmten Art immer durchgesetzt, allerdings bei älteren und weitaus disziplinierteren Schülerinnen. „Wenn du willst, dass deine Wünsche berücksichtigt werden, musst du vor allem höflich bleiben. Herumschreien nützt gar nichts.“
„Gut, ich entschuldige mich“, murmelte Georgina und widmete sich dem nächsten Wildschwein. „Aber sagen Sie ihr, dass sie nicht so gemein zu mir sein soll. Keiner hat das bisher mitbekommen … nicht mal Holt.“
„Warum nennst du ihn nicht Daddy?“, fragte Riley, der nicht verstand, warum seine neue Freundin ihren Vater mit seinem Vornamen anredete.
„Das macht ihm nichts aus“, versicherte Georgina. „Es gefällt ihm sogar.“
Riley war nicht überzeugt. „Ich habe zu meinem Vater immer Daddy gesagt.“
„Gut, dann nenne ich Holt auch so.“ Georgina wollte Riley auf keinen Fall als Parteigänger verlieren. Er gefiel ihr – viel mehr als Zoltan, den sie beinahe schon vergessen hatte. „Er ist ein prima Kerl. Ich wünschte, ich wäre auch ein Junge, dann würde er mich bestimmt mehr lieben. Warum sind Jungen bloß so verdammt wichtig?“
„Keine Schimpfworte, Georgy“, ermahnte Marissa sie.
Das Mädchen lächelte schalkhaft. „Darf ich ‚verflixt‘ oder ‚blöde‘ sagen, wenn mir danach ist?“
„Nur wenn es unbedingt nötig ist“, entschied Marissa. „Zum Beispiel wenn du hinfällst und dir wehtust. Am besten vergisst du solche Ausdrücke. Du wirst bei mir viele schöne Worte lernen und am Ende die hässlichen nicht mehr brauchen.“
„Das stimmt“, bestätigte Riley eifrig.
„Trotzdem fluche ich gern.“ Das Geständnis machte sie flüsternd hinter vorgehaltener Hand. „Natürlich nicht in deiner und Marissas Anwesenheit. Ihr seid viel zu nett.“
Lois’ Geduld war erschöpft. „Könnte ich Sie einen Moment draußen sprechen, Miss Devlin?“, fragte sie scharf.
„Selbstverständlich.“ Marissa wandte sich an die Kinder. „Wenn eure Bilder fertig sind, könnt ihr euch gegenseitig eure Lieblingsbücher zeigen. Ihr findet sie alle in den Regalen. Ich gehe nur kurz auf den Flur.“
„Darf ich nun umziehen oder nicht?“, rief Georgina ihr nach.
„Wir werden mit deinem Vater sprechen“, entschied Marissa. „Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat, doch fragen müssen wir ihn.“
Georgina wusste, dass sie damit schon halb gewonnen hatte. „Ich verrate Ihnen auch, wo Sie ihn finden können“, drängte sie. „Um Riley und mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir können uns gut allein beschäftigen. Nicht wahr, Riley?“
„Das will ich meinen.“ Rileys Stimme klang so glücklich wie lange nicht. Das war Musik in Marissas Ohren.
„Wir wollen nichts überstürzen“, beendete sie die Diskussion, obwohl ihr Georginas Vorschlag einleuchtete. „Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“
Lois ging ein Stück den Korridor hinunter, ehe sie stehen blieb und sich zu Marissa umdrehte. Ihre Gesichtszüge waren angespannt, der Blick war kalt.
„Sie tun alles, um sich beliebt zu machen, nicht wahr?“, stellte sie fest. „Nicht nur bei Holt und Olly, sondern auch bei meiner kratzbürstigen Nichte. Vor Mrs. McMaster werden Sie wahrscheinlich einen Hofknicks machen, wenn Sie ihr vorgestellt werden.“
Marissa atmete tief durch. „Warum sind Sie eigentlich so wütend auf mich, Miss Aldridge? Sie kennen mich doch gar nicht. Ich bedauere es sehr, dass wir uns nicht besser verstehen, nur: Woran liegt das? Georgina braucht eine liebevolle und strenge
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