Im Land der Sehnsucht
setzte sich Olly gegenüber. Es war klar. Auch die Wirtschafterin nahm ihr nicht ab, dass sie und Riley Geschwister waren. „Was halten Sie von der Sache? Sollte man Georgy den Wunsch erfüllen?“
„Miss Lois hat viel Zeit und Geld investiert in die Einrichtung des Raums“, gab Olly zu bedenken. „Dabei ist allerdings das stilechte Boudoir einer Lady, aber kein Kinderzimmer herausgekommen. Lois hat alles nach ihrem Geschmack eingerichtet. Tara hätte es genauso gemacht.“
„Ist Tara die ehemalige Mrs. McMaster?“
Olly nickte. „Ein und dieselbe. Es ist nur natürlich, dass Georgy in Ihrer Nähe sein möchte, außerdem könnten Sie besser auf sie aufpassen. Es ist noch nicht lange her, da litt sie unter Albträumen und schlafwandelte sogar.“
„Das muss für Sie alle schlimm gewesen sein.“
„Allerdings. In letzter Zeit ist beides jedoch nicht mehr vorgekommen.“
Marissa zögerte. „Ich wollte Mr. McMaster aufsuchen und ihn fragen, aber nicht ohne mir vorher bei Ihnen Rat zu holen. Wenn Sie es für eine schlechte Idee halten, werde ich mich nicht weiter dafür einsetzen. Miss Aldridge ist ohnehin strikt dagegen.“
„Das kann ich mir denken.“ Olly nahm die Brille ab und sah Marissa an. „Falls Sie es nicht schon bemerkt haben … Miss Lois ist sehr in Holt verliebt.“
Das überraschte Marissa nicht. „Etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht“, gestand sie. „Sie hat mich gewarnt, mir sie und ihre Schwester nicht zu Feindinnen zu machen.“
Olly schnalzte leise mit der Zunge. „Ist sie so deutlich geworden? Tara ist ihr bei Weitem überlegen. Verglichen mit ihr, ist Lois rein gar nichts. Ich glaube sogar, sie hat Angst vor ihrer Schwester, obwohl sie fast dreißig ist.“
„Wie traurig!“ Marissa freute sich, dass Olly so ehrlich war. „Wie auch immer … ich habe die Botschaft verstanden. Sollte ich Georgys Mutter in die Quere kommen, fliege ich aus dem Haus.“
„He, he!“ Olly beugte sich über den Tisch und nahm Marissas Hand. „Die ehemalige Mrs. McMaster hat hier nichts mehr zu sagen, mein Kind. Lassen Sie sich bloß nichts von Miss Lois vormachen. Sie wäre netter zu Ihnen, wenn Sie ein hässliches Entlein wären, aber so … Sie sind eine Schönheit, Marissa. Das bringt Lois so aus dem Häuschen. Sie tauchen aus dem Nichts auf wie die schaumgeborene Venus. Lois muss Sie geradezu als Bedrohung empfinden.“
Die Vorstellung bedrückte Marissa. „Ach Olly“, seufzte sie. „Ich will doch nichts anderes sein als Georgys Erzieherin. Wie kann man mich da als Bedrohung empfinden?“
Olly lächelte. „Oh doch, meine Liebe. Es ist keine Neuigkeit, dass mit Schönheit auch Macht verbunden sein kann. Und was Sie sonst noch alles mitbringen … Ihnen würde kein Ehemann untreu werden.“
Marissa errötete. „Die letzte Erzieherin war in Mr. McMaster verliebt, nicht wahr?“
„Und die davor auch. Alle beide … Hals über Kopf.“ Olly runzelte die Stirn. „Holt hat es nicht eilig, wieder zu heiraten, schließlich kann er aus Dutzenden von geeigneten Frauen wählen.“
Wahrscheinlich würde die Schlange bis Alice Springs reichen, dachte Marissa, behielt das aber für sich. „Wie hat er Tara kennengelernt?“, fragte sie. „Gehören die Aldridges zu den Outback-Familien?“
Olly schüttelte den Kopf. „Dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Nein, Holt lernte Tara auf einer illustren Gesellschaft in Sydney kennen. Mr. Aldridge ist Geschäftsmann und erscheint regelmäßig auf der Liste der reichsten Männer des Landes. Die Hochzeit machte damals große Schlagzeilen. Ich glaube, Holt bereute den Schritt schon, als er von den Flitterwochen aus Europa zurückkam.“
„Du meine Güte!“, rief Marissa. „Ich hielt Mr. McMaster bisher nicht für einen Mann, der Fehler macht.“
„Wir alle machen welche, mein Kind.“
Woran Olly dabei dachte, war klar. Wann würde es Marissa gelingen, der Welt zu beweisen, dass Riley nicht ihr unehelicher Sohn war?
Flach wie ein Brett dehnte sich das Land bis zum Horizont aus. Überschwemmungen müssen hier von gewaltiger Wirkung sein, dachte Marissa, während sie der kaum erkennbaren Reifenspur folgte. Sie hatte das Seitenfenster heruntergedreht und den Ellbogen aufgestützt, um den frischen Fahrtwind zu spüren. Scharen von exotischen Vögeln stoben auf, sobald sich der rote Kombi näherte: bunte Loris, weiße Kakadus, große hellgraue Galahs mit ihrem rosa Brustgefieder und Schwärme von Sittichen und Finken, die zu den
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