Im Land der Sehnsucht
distanziertes Verhältnis zu Georgina, als wäre er nicht ihr Vater, sondern ein wohlwollender Onkel. „Vielleicht können wir diese Furcht schrittweise abbauen. Riley kann dabei eine große Hilfe sein. Er schwimmt genauso gern wie ich.“
„Haben Sie es ihm beigebracht?“
Marissa strich sich das windzerzauste Haar aus dem Gesicht. „Nein.“
Holt betrachtete sie von der Seite. Sie trug eine silberfarbene Bluse, die teuer aussah und ihr sehr gut stand. Für eine davongelaufene ledige Mutter – falls sie eine war – legte sie überhaupt ungewöhnlich viel Wert auf Stil und guten Geschmack. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Miss Marissa Devlin eine Geschichte zu erzählen, die ihn ausgesprochen neugierig machte. Natürlich konnte er sich jederzeit nach ihr erkundigen, doch aus irgendeinem Grund scheute er davor zurück. Er wollte ihr Vertrauen gewinnen und alles von ihr selbst hören.
„Wer war dann sein Lehrer?“, fragte er.
„Ebenfalls mein Dad.“ Marissa wurde einsilbig, wie immer, wenn sie von ihrem Vater erzählen sollte. „Er hat Riley vieles nahegebracht.“
„Offensichtlich mit Erfolg. Riley ist ein bemerkenswerter Junge.“
„Das finde ich auch.“
Die tiefblaue Nacht mit ihrem funkelnden Sternenhimmel hätte auf Marissa eine beruhigende Wirkung ausüben müssen, stattdessen spürte sie, wie sie Holts Ausstrahlung immer mehr erlag. Eine Ausstrahlung, der schon andere Frauen vor ihr mit Sicherheit erlegen waren.
„Sie haben mich noch gar nicht nach meiner Lehrmethode gefragt“, sagte sie. „Gibt es vielleicht etwas, das ich besonders eingehend behandeln sollte?“
Holt überlegte nicht lange. „Ich verlasse mich da ganz auf Ihre Fähigkeiten, Marissa“, antwortete er. Sie haben mir doch die exzellenten Referenzen Ihrer ehemaligen Direktorin gezeigt. Sie hieß doch Bell?“
„Ja. Sie war nicht nur meine Vorgesetzte, sondern auch eine wahre Freundin, die alles tat, um mir das Leben zu erleichtern.“
„Was war daran so schwer?“
„Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ich sehnte mich wohl vor allem nach Liebe.“
„Wie jeder Mensch.“
Mit dieser Feststellung hatte Marissa nicht gerechnet – jedenfalls nicht bei Holt.
„Vielleicht gehe ich jetzt zu weit“, fuhr sie fort, „doch die Scheidung von Ihrer Frau muss für Sie und Georgy sehr schmerzlich gewesen sein, oder?“
Ein spöttisches Lächeln glitt über Holts Gesicht. „Sie haben in der Tat kein Recht dazu, mich das zu fragen.“
„Sie dagegen dürfen alles aus mir herausquetschen, oder?“, begehrte sie auf.
„Immer mit der Ruhe, Marissa. Es gibt da einen gewissen Unterschied.“
„Natürlich“, lenkte sie schnell ein.
Sie schlenderten einen Weg entlang, der dunkler war, weil er zu beiden Seiten von Büschen gesäumt war. Sie standen in voller Blüte und verbreiteten einen betäubenden Duft. Die Lichter vom Haus waren längst nicht mehr zu sehen. Nur die Sterne erhellten die geheimnisvolle Nacht.
„Um ehrlich zu sein, habe ich nach meiner Scheidung eine ungeheure Erleichterung verspürt“, sagte Holt unvermittelt. „Das ist nun einmal die Wahrheit.“
Die letzten Worte empfand Marissa als Seitenhieb, den sie nicht schweigend hinnehmen wollte. „War Ihre Liebe denn so völlig erloschen?“, fragte sie, und es klang wie ein versteckter Vorwurf.
„Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, dass Sie mir mal von Ihrer Liebesaffäre erzählen“, schlug Holt gelassen vor.
„Sie werden es nicht glauben, ich habe keine gehabt.“
„Und das soll ich Ihnen abnehmen?“
„Riley ist nicht mein Sohn!“
Holt blieb stehen und legte Marissa beide Hände auf die Schultern. „Das behaupten Sie, sein Verhalten spricht jedoch dagegen.“
„Ist das verwunderlich bei einem Jungen, der …?“ Weiter kam sie nicht. Sie konnte einfach nicht über die Vergangenheit reden, auch nicht, wenn ihr guter Ruf davon abhing. Sollte sie ihren Vater noch nachträglich bloßstellen, indem sie anderen von seinem qualvollen Abstieg in den Alkoholismus erzählte? Von seiner zerbrochenen Karriere oder der unseligen Affäre mit Kira? Das alles lag noch nicht weit genug zurück.
„Also gut“, sagte Holt angesichts ihrer Qual, „kehren wir lieber um.“
Marissa, die noch immer den warmen Druck seiner Hände zu spüren meinte, flüsterte: „Ich habe Sie nicht belogen.“
„Dann verraten Sie mir eins, Marissa, fürchten Sie sich vor jemand?“
Ja, vor dir!, hätte sie am liebsten geschrien. Und vor dem, was ich für
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