Im Land der tausend Sonnen
über ein Jahr. Natürlich unbezahlt.«
»Unbezahlt? Das ist nett von dir, verdammt rücksichtsvoll, möchte ich sagen. Wenn du dieses lächerliche Land besuchen willst, dann tu’s. Ich weiß nicht, warum du dir die Mühe machst, mich zu fragen. Mit mir hat das gar nichts zu tun, denn wenn du ohne guten Grund länger als einen Tag deiner Arbeit fernbleibst, werde ich deine Stelle neu besetzen. Und eine Urlaubsreise ist kein guter Grund.«
Plötzlich richtete er sich auf, beugte sich vor und donnerte Hubert an: »Ich bin ein gerechter Mann. Wenn du zu dieser Tür hinausgehst, kannst du dich nach links oder nach rechts wenden. Gehst du nach rechts, liegst du endgültig auf der Straße. Gehst du nach links, setzt du dich wieder an deinen Schreibtisch und arbeitest wie alle anderen auch. Verstanden?«
»Ja, Großvater.«
1872
Zurückblickend auf diese Jahre wusste Hubert, längst der alleinige Besitzer von H. A. Hoepper & Co., dass sein Großvater Recht gehabt hatte. Allein die Überlegung, ein Jahr Urlaub zu nehmen, war dumm von ihm gewesen, und sehr egoistisch. Er war froh, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Und danach hatte er sich darangemacht, alles über das Geschäft zu lernen, was es zu lernen gab, und lieber einen nicht zu verachtenden Beitrag zu leisten, statt an seinem Schreibtisch die Zeit totzuschlagen.
Als der Großvater starb, wurde der Besitz zwischen Klaus und Hubert aufgeteilt. Zur Erleichterung seiner Mutter durften sie das Haus am Nikolaifleet behalten, und das Geschäft wurde von den beiden Vettern gemeinsam geführt. Sie wirtschafteten gut, doch irgendwann bezahlte Hubert Klaus aus, weil Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen standen.
Klaus zog es vor, gemäß der Arbeitsweise des Großvaters als Importgeschäft weiterzumachen, doch Hubert sah Exportmöglichkeiten für preiswertere einheimische Waren, die allmählich selbst vom Adel akzeptiert wurden. Er ermutigte Hamburger Möbeltischler und Schreiner und investierte in den Export deutscher Haushaltsgüter.
Das Geschäft blühte, und Hubert, nun in den mittleren Jahren, begnügte sich mit einem geruhsamen Leben an der Seite seiner Frau, seiner zwei Söhne, die bereits in seinen Lagerhäusern arbeiteten, und seiner Tochter Adele.
Und dann sickerte Huberts Begeisterung für ferne Länder allmählich doch wieder in sein Bewusstsein ein. Eine Stimme stachelte ihn unentwegt auf, flüsterte ihm zu, dass er sich die Erfüllung seines Traums jetzt leisten könne: einfach seine Familie zusammenrufen und sie mit auf die Fahrt über die Meere nehmen, vor dem europäischen Winter fliehen und ein neues abenteuerliches Leben beginnen. Bevor es zu spät war. Bevor er zu alt war. Er würde sie nach Australien bringen, in ein Land der Sonne und der unendlichen Weite, wo Familien sich so viel Land nehmen konnten, wie sie mochten. Seine Söhne brauchten nicht in die pfennigfuchsende Welt von Gewinn und Verlust eingesperrt zu werden und sich tagein, tagaus ein dunkles Büro zu teilen, wie er und Klaus es getan hatten.
Er trat vor das Porträt seines Großvaters, um sein Spiegelbild in dem dunklen Glas zu betrachten, und bemerkte nicht zum ersten Mal seine eigenen grauen Schläfen.
»Ich könnte es jetzt tun«, sprach er seine Absicht zum ersten Mal aus.
Erik und Ernst könnten dort draußen auf eigenem Land ein gesundes Leben mit ihren Familien führen. Hubert sah bereits ihre spitzgiebligen Häuser inmitten eines Meers von goldenem Weizen vor seinem inneren Auge. Oder vielleicht umgeben von grünen Wiesen, auf denen Schafe und Kühe grasten.
Zwar brachte er es noch nicht über sich, mit jemandem, sei es Familie oder Freund, über seinen Plan zu sprechen, doch er begann Erkundigungen einzuziehen und stellte zu seiner Überraschung fest, dass hier in Hamburg ein Agent Leute anwarb, die nach Australien auswandern wollten.
Hubert staunte, als er sich im Büro eines jungen Herrn namens John Henderson wiederfand, der tatsächlich daran arbeitete, Leute zum Auswandern nach Australien zu bewegen, insbesondere in die nordöstliche Kolonie Queensland. Dieser Anblick bestätigte alle seine Erwartungen, alles schien so zu sein, wie es sein musste.
Es überraschte Henderson, dass Hubert Hoepper bereits so viel über
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