Im Land der tausend Sonnen
interessiere.
»Aber das stimmt nicht«, sagte er schließlich. »Ich möchte reisen. Ich will die Welt sehen. Vom Bürofenster in dem großen Lagerhaus kann ich all diese großen Schiffe sehen, wenn sie aufs Meer hinaussegeln, und ich würde so gern mitsegeln.«
Als ob sie das nicht wüsste! Schon als Junge zog es ihn in den Hafen, wo er diese Schiffe bewunderte. Sein Vater hatte ihm sogar Spielzeugschiffe und Nachbildungen gekauft, die bis heute in seinem Schlafzimmer standen.
»Hör mir gut zu«, sagte sie. »Du hast nichts außer Reisen im Kopf – welch ein Unsinn. Ich sollte diese Landkarten und all den Kram aus deinem Zimmer räumen, damit du dich besser aufs Geschäft konzentrierst. Was soll denn aus uns werden, wenn dein Großvater deinem Vetter Klaus das Geschäft vererbt? Er ist jetzt schon der wichtigste Angestellte in der Firma, und dabei ist er nur zehn Jahre älter als du.«
Hubert lächelte. »Das ist doch logisch. Er ist zehn Jahre länger im Betrieb als ich.«
»Und was glaubst du wohl, wer dir die ganze Zeit über das Wasser abgräbt? Wer sich bei deinem Großvater über dich beklagt?«
»Klaus etwa? Das glaube ich nicht. Und überhaupt, was hat das schon zu bedeuten?«
»Könntest du mich und deine beiden Schwestern mit deinem Lohn ernähren? Das glaube ich nicht. Dieses Haus gehört deinem Großvater. Kannst du so sicher sein, dass er es mir oder dir vererbt? Kannst du nicht! Aber was kümmert dich das? Du wärst dann ja weit fort, auf der Reise nach Italien oder Ägypten, und dir wäre es gleich, wenn wir auf die Straße gesetzt würden. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass dein Großvater einem wie dir sein Geschäft hinterlassen würde, einem, der ganz offenbar keine geschäftlichen Interessen hat und womöglich nicht einmal am Ort ist?« Sie weinte. »Du kümmerst dich um niemanden, außer um dich selbst. Das ist dein Problem. Der alte Mann ist nicht dumm. Er wird das Geschäft in gute Hände geben wollen. Also in Klaus’ Hände, und das bedeutet, dass ich immer von ihm und seiner blöden Frau abhängig sein werde …«
Hubert legte den Arm um ihre Schultern und küsste sie auf die Wange. »Reg dich bitte nicht so auf, Mutter. So schlimm ist es doch gar nicht. Alles wird gut. Du wirst schon sehen.«
Doch an diesem Abend hockte er in seinem Zimmer im obersten Stock, blickte über die Dächer hinweg und dachte über sein Problem nach. Er stellte sich vor, was seine Mutter von den fernen Ländern seiner Träume hielt, und musste unwillkürlich lächeln.
Italien? Ägypten? Oh nein, das war Kinderkram. Diesen Eindruck hatte sie wohl durch die alten Bilder von den Pyramiden gewonnen, die seit Jahren in seinem Zimmer hingen. Nein, Hubert hatte gründlich über seine Reisen nachgedacht. Er hatte Landkarten studiert, er besaß sogar einen eigenen Globus auf einem hölzernen Sockel, und er hatte zahllose Bücher gelesen. Mit einem der Reiseschriftsteller war er völlig einer Meinung, denn der schrieb: ›Die Vorbereitung ist faszinierend, doch die Vorfreude ist unübertrefflich.‹ Das empfand er ganz genauso, und im Laufe der Jahre war sein Geschmack gereift. Ihm wurde bewusst, dass es nicht nur um Schiffe ging, nein, er benötigte auch ein Ziel. Das allein schon war so aufregend …
Zu dieser Zeit redete seine Mutter dem Großvater ein, Huberts Hobby sei die Geographie, um so die Unmengen an Karten und Büchern in seinem Dachstübchen zu erklären, doch der alte Hubert ließ sich nach wie vor nicht beeindrucken.
Kein Ort an den Küsten Europas konnte Huberts Interesse wecken; er sah sich selbst an Bord eines großen Schiffs, dessen Bug mächtige Wellen pflügte, draußen in der Wildnis der großen Ozeane. Aber wo? Amerika bot sich an. Geradewegs jenseits des Atlantiks. Das wäre eine großartige Reise, doch was sollte er anfangen, wenn er drüben war? Zwar war Amerika ein beliebtes Reiseziel, doch dieses Land lockte ihn nicht, weil es augenscheinlich so leicht zu erreichen war und kaum eine Herausforderung darstellte. Außerdem war es, obwohl es sich als Neue Welt bezeichnete, nicht gegen Krieg gefeit, und Hubert war Pazifist.
Pazifist! Seinen Großvater hätte am Abendbrottisch beinahe der Schlag getroffen.
»So etwas habe ich noch nie gehört! Mein Gott, junger Mann, ohne den
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