Im Land der tausend Sonnen
Mut tapferer Soldaten, wie dein Vater, Gott sei seiner Seele gnädig, einer gewesen ist, wären wir heute nicht hier, könnten nicht den Frieden genießen, den wachsenden Wohlstand …«
»Frieden, Großvater? Für wie lange? Noch mehr Napoleons? Noch mehr Kämpfe um die so genannte Einheit? Noch mehr Schlachten, um derentwillen Tausende von Bauern von ihren Feldern geholt werden, damit sie gegen die Österreicher oder die Franzosen kämpfen? Ich frage dich: Warum herrscht diese Knappheit an Getreide und Nahrungsmitteln? Weil alles gebraucht wird, um Hunderttausende von Soldaten zu füttern, die eigentlich ihre Äcker bestellen sollten. Es ist ein Teufelskreis.«
»Hast du keine Achtung vor deinem eigenen Vater?«, donnerte der alte Hubert. »Er war kein Bauer! Er war Offizier und hat in Ausübung seiner Pflicht den Tod gefunden! Entferne diesen Elenden von meinem Tisch.«
»Ich habe unseren geliebten Vater nicht kritisiert, Großvater. Das würde ich nie tun. Du verstehst nicht. Ich wollte …«
Seine Mutter hatte eingegriffen, die Wogen geglättet, indem sie dem Großvater berichtete, dass Huberts kleine Schwestern ein Konzert für ihn eingeübt hatten. Dieser abrupte Themenwechsel verfehlte seine Wirkung nicht. Der Großvater liebte Hausmusik auf dem Piano über alle Maßen. Er hatte selbst eine gute Singstimme und mochte es, wenn die Mädchen mit ihm zusammen musizierten.
Hubert ließ die Erinnerungen an sich vorüberziehen. Am besten vermied man es, über den Unsinn und die Grausamkeit endloser Kriege mit dem Großvater zu diskutieren. Man hätte meinen können, dass er, nachdem er einen Sohn, seinen einzigen Sohn verloren hatte, nicht auf dem Schlachtfeld, sondern während einer Kavallerie-Übung, während eines Manövers, eines vorbereitenden Kriegsspiels, dem Standpunkt seines Enkels eher zugänglich gewesen wäre. Sie hatten seinen Vater genommen, war das nicht Grund genug für einen Jungen, gegen alles Militärische eingestellt zu sein? Warum konnte sein Großvater das nicht verstehen?
Wie auch immer, während der langen Wintermonate, als Hamburg in Schnee versank, war es Huberts größte Freude, weiterhin ungestört über seinen Reiseplänen zu brüten. Er zog Südamerika in Betracht und dann Afrika, den dunklen Kontinent voller Geheimnisse, und dann fiel ihm plötzlich ein, dass er, wenn er sich für die neueste Welt entschied, für den Kontinent Australien, all diese anderen Länder ebenfalls zu sehen bekäme. Zumindest im Vorübersegeln, auf dem Weg um die ganze Welt. Das war eine großartige Idee.
Er verwandte große Mühe darauf, alles über die australischen Kolonien zu erfahren, was sich finden ließ, und seine Faszination für dieses fremde, so ferne Land wuchs dermaßen, dass er jegliche Vorsicht fahren ließ. Er suchte seinen Großvater in dessen imposantem Heiligtum auf, wo es von poliertem Holz und Messing und Leder nur so blitzte und wo es nach teurem Tabak roch.
Von seiner Begeisterung mitgerissen, war Hubert ziemlich außer Atem, als er begann, der bärtigen Eminenz alles über dieses herrliche Land weit im Süden zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean zu erzählen, von dem sonnigen Klima, dem endlos weiten, noch kaum erforschten Land, seinen neuen Städten und seiner merkwürdigen Tierwelt, doch er wurde bald unterbrochen.
»Ja, und?«
»Nun … ich möchte gern dorthin, Großvater. Ich habe genug Geld für die Überfahrt und ein bisschen darüber hinaus gespart, und bestimmt könnte ich zeitweise Arbeit finden, um mir Ausflüge leisten zu können.«
»Und was wird aus deiner Arbeit?«
»Darum geht es ja, Großvater. Ich habe mir überlegt, ob ich nicht einen längeren Urlaub nehme … vielleicht ein Jahr … und dann wieder an meine Arbeit gehe.«
Sein Großvater klopfte mit den Knöcheln heftig auf die Schreibtischplatte vor ihm, sehr, sehr langsam, nichts Gutes verheißend.
»Mit anderen Worten, du glaubst, du hättest ein Anrecht auf einen Urlaub. Nicht etwa auf ein paar Tage, wie alle anderen Mitarbeiter auch, nein, auf ein ganzes Jahr. Glaubst du, du hättest dir einen Urlaub verdient, Junge? Gib Antwort! Glaubst du, du verdienst einen Urlaub?«
»Nicht unbedingt. Es wäre gewissermaßen eine Freistellung, verstehst du? Eine Freistellung
Weitere Kostenlose Bücher