Im Land der tausend Sonnen
Hilfst du mir beim Tragen?«
»Gestatten Sie«, sagte der Vikar, und Hubert gestattete es ihm nur zu gern. Er empfand es als unwürdig, all ihre grellbunten Einkäufe zu schleppen, und hatte keine Lust, so beladen ins Beiboot zu steigen. Sollte der Kirchenmann sich nützlich machen.
Er warf sich auf seine Pritsche. »Tja, Freddy, was für ein Tag. Da hast du was versäumt! Du bist sicher zu allem Überfluss auch noch als Jungfrau gestorben. Und der heutige Tag hätte der schönste in deinem Leben sein können! Oh, ich liebe dieses Leben als Weltenbummler. Das ist das Richtige für mich. Aber lass dir erzählen … Sabine. Oh mein Gott! Sabine. Welche Freude. Welch ein Geschenk.« Er lachte laut. »Ein Geschenk des Dekans. Er hat für sie bezahlt. Heute Abend erzähle ich dir von ihr. Über jede Minute mit ihr, jede Berührung. Wir werden unseren Spaß haben. Wenn ich ganz vorsichtig bin, kann ich vielleicht irgendwo noch einmal eine Flasche Wein mitgehen lassen, dann können wir feiern. Übrigens, ich habe einen Passagier kennen gelernt, einen Herrn Hoepper … hochvornehm. Reich, würde ich sagen. Er reist erster Klasse. Und zwar nach … rate mal! Nach Bundaberg. Die Stadt, die auch wir zum Ziel haben. Am Ende der Welt. Und er wusste, dass du an Bord sein musstest, Freddy. Also, was macht er? Trottet zu mir rüber und stellt sich vor. Ich wäre vor Schreck fast aus meinem Rock gefahren. Denn ich rechnete ja damit, dass er losbrüllt, sobald er mir ins Gesicht sieht: ›Das ist nicht Friedrich Ritter!‹ Und dann hätte ich auf meinen anderen Plan zurückgreifen müssen. Hätte sagen müssen: ›Sie meinen den anderen Vikar Ritter. Ich habe von ihm gehört … nein, wir sind nicht verwandt …‹ und so weiter.
Ich kann dir sagen, Freddy, ich war so verstört, ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Wäre wahrscheinlich eher weggerannt. Aber was macht er? Fängt an, sich für die Störung zu entschuldigen. Sich zu entschuldigen! Plaudert ein bisschen, worüber, kann ich nicht sagen, ich hatte viel zu viel Angst – und dann holt er seine Tochter heran. Die Tochter, Friedrich. Jung, reich und schön. Sie ist recht zierlich, hat aber eine schmale Taille und hübsche Titten und ganz seidiges blondes Haar. Ich bin mit ihnen zusammen im Beiboot zurück aufs Schiff gekommen und habe nur unter schweren inneren Kämpfen die Augen von ihrem lieblichen Gesicht lassen können. Und sie ist so süß …
Ich muss dir gestehen, Freddy, ich habe mich verliebt. Ich bin bis über beide Ohren verliebt in sie. Ich muss mir überlegen, wie ich ihr näher kommen kann. Das wäre eine Aufgabe für dich, Friedrich: Sprich mit dem Herrn. Flehe ihn an, mir die liebste Adele zu geben, dann will ich den Rest meines Lebens als Heiliger verbringen. Ganz bestimmt.«
Zweiter Teil
3. Kapitel
Hubert Hoepper hatte immer in Hamburg gelebt. Dort war er geboren und zur Schule gegangen, dort trat er als Lehrling in die Handelsfirma H. A. Hoepper & Co. ein, die sein Großvater gegründet hatte. Es hieß, dass Hubert mit zwanzig Jahren dem alten Hubert wie aus dem Gesicht geschnitten war, mit den gleichen blauen Augen, dem kantigen Kinn und dem glatten schwarzen Haar mit dem sauberen Ansatz.
Er war groß, breitschultrig und breitbrüstig, und es hieß, dass der junge Hubert, wenn er richtig ausgewachsen war, ganz der alte Hubert sein würde, abgesehen davon, dass … ach ja. Abgesehen davon, dass der alte Hubert ein Haudegen war. Ein harter, gewiefter Geschäftsmann mit kampfeslustig vorspringendem Kinn, das grau durchzogene Haar militärisch korrekt gestutzt.
Der Enkel hingegen war ein Träumer. Daran bestand kein Zweifel, er war wirklich ein Träumer, und sah sogar so aus, mit seinem langen, zurückgekämmten Haar, den dichten, dunklen Wimpern … wie die Mädchen zu sagen pflegten: er war verträumt.
Als der alte Hubert sich bei seiner verwitweten Schwiegertochter, die seinen Haushalt führte, über ihn beschwerte, verteidigte sie zornig ihren Sohn und führte ins Feld, dass er stets pünktlich sei und seine Arbeit gut mache, was man von einigen seiner Aufseher nicht unbedingt sagen könne. Ihrem Sohn gegenüber trat sie jedoch bedächtiger auf, flehte ihn an, dem Geschäft mehr Beachtung zu schenken und seinem Großvater zu zeigen, dass er sich wirklich für alles Geschäftliche
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