Im Land der weissen Rose
aber er war allein hier.Anscheinend
suchte sonst niemand die Einsamkeit abseits der Häuser. Er würde
ungesehen flüchten können. Entschlossen lief er am
Flussufer entlang, suchte Deckung zwischen den Farnen, wo immer es
möglich war, und folgte dem Fluss eine Stunde lang aufwärts,
bevor er die Entfernung als groß genug erachtete, um sich zu
entspannen.Allzu schnell würde der Skipper ihn nicht vermissen;
die Pretty Peg sollte erst am nächsten Morgen auslaufen. Copper
würde ihn natürlich suchen, aber ganz sicher nicht am
Fluss, zumindest nicht anfangs. Später mochte er am Ufer
nachsehen, aber bestimmt würde er sich auf die Gegend rund um
Westport beschränken. Trotzdem hätte Lucas sich am liebsten
gleich in den Dschungel geschlagen, hätte der Ekel vor seinem
besudelten Körper ihn nicht aufgehalten. Zeit für eine
Reinigung musste sein. Lucas zog sich fröstelnd aus, versteckte
seine schmutzigen Sachen hinter ein paar Felsen – er dachte
zunächst kurz daran, sie zu waschen und mitzunehmen,schauderte
aber schon bei dem Gedanken, das Blut und das Fett abzuscheuern. So
behielt er nur seine Unterwäsche, Hemd und Hose musste er
abschreiben. Natürlich war das bedauerlich; wenn er sich wieder
unter Menschen wagte, würde er nicht mehr besitzen als das, was
er am Leibe trug.Aber alles war besser als das Schlachten an Bord der
Pretty Peg.
Schließlich ließ Lucas sich fröstelnd in das
eiskalte Wasser des Buller River gleiten. Die Kälte schnitt in
seine Haut, aber das klare Wasser wusch alles von ihm ab, was ihn
besudelte. Lucas tauchte tief darin unter, griff nach einem
Flusskiesel und begann seine Haut damit zu bearbeiten. Er schrubbte
seinen Körper, bis er krebsrot war und die Kälte des
Wassers kaum noch spürte. Dann endlich verließ er den
Fluss, zog die sauberen Kleider an und suchte sich einen Weg in den
Dschungel. Der Wald war Furcht erregend – feucht und dicht,
voller unbekannter, gewaltiger Pflanzen. Lucas kam hier allerdings
sein Interesse an Flora und Fauna seiner Heimat zugute. Er hatte
viele der riesigen Farne, deren Blätter zuweilen wie Raupen
zusammengerollt und fast lebendig wirkten, in Lehrbüchern
gesehen und überwand seine Furcht, indem er versuchte, sie zu
bestimmen. Sie waren durchweg nicht giftig, und selbst die größte
Baumweta zeigte sich weniger angriffslustig als die Flöhe an
Bord. Auch die vielfältigen Tierlaute, die durch den Dschungel
drangen, schreckten ihn nicht. Hier gab es nichts als Insekten und
Vögel, vor allem Papageien, die den Wald zwar mit den
seltsamsten Rufen erfüllten, aber gänzlich harmlos waren.
Schließlich machte Lucas sich ein Lager aus Farnen und schlief
nicht nur weicher, sondern auch friedlicher als in den Wochen auf der
Pretty Peg. Wenngleich er alles verloren hatte, erwachte er am
nächsten Morgen mit neuem Mut – erstaunlich in Anbetracht
dessen, dass er eben seinem Arbeitgeber weggelaufen war, einen
Vertrag gebrochen, Spielschulden angehäuft und nicht bezahlt
hatte. Immerhin, dachte er fast belustigt, wird mich so schnell
niemand mehr einen »Gentleman« nennen!
Am liebsten wäre Lucas im Dschungel geblieben, aber trotz der
überbordenden Fruchtbarkeit dieser grünen Höhle fand
sich nichtsEssbares. Zumindestnicht für Lucas – ein
Maori-Stamm oder ein echter Waldläufer hätten das
vielleicht anders gesehen. So aber zwang ihn sein knurrender Magen,
eine menschliche Ansiedlung aufzusuchen. Nur, welche? Westport kam
nicht in Frage. Da wusste jetzt garantiert jeder, dass der Skipper
einen entlaufenen Matrosen suchte. Womöglich wartete die Pretty
Peg sogar auf ihn.
Dann fiel ihm ein, dass Copper gestern die Tauranga Bay erwähnt
hatte. Seehundbänke, zwölf Meilen von Westport. Die
Seehundjäger wussten sicher nichts von der Pretty Peg und
dürften sich auch kaum dafür interessieren. Die Jagd in
Tauranga sollte aber durchaus florieren; sicher fand er dort Arbeit.
Frohen Mutes machte Lucas sich auf den Weg. Seehundjagd konnte nicht
schlimmer sein als Walfang ...
Die Männer in Tauranga hatten ihn auch tatsächlich
freundlich aufgenommen, und der Gestank in ihrem Lager hielt sich in
Grenzen. Schließlich lag es unter freiem Himmel, und die Männer
waren nicht zusammengepfercht. Natürlich musste den Leuten klar
sein, dass irgendetwas mit Lucas nicht stimmte, aber sie stellten
keine Fragen zu
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