Im Land der weissen Rose
Hilfe der Hausmädchen von klein auf
abgelehnt.
Fleurs zarte Gestalt und ihr offenes Haar ließen sie
elfenhaft wirken. So ähnlich sie ihrer Mutter sah und so sehr
sich auch ihre Temperamente glichen: FleurettesAusstrahlung war doch
eine gänzlich andere. Das Mädchen wirkte anschmiegsamer und
fügsamer als die junge Gwyn, und von den goldbraunen Augen ging
eher ein Leuchten als ein provozierendes Funkeln aus.
Die Männer im Saal starrten fasziniertauf ihre Erscheinung,
doch während die meisten eher bezaubert wirkten, erkannte
Gwyneira in John Sideblossoms Blick einen Ausdruck der Begierde. Für
ihr Empfinden hielt er Fleurettes Hand einen Moment zu lange, als er
das Mädchen höflich begrüßte.
»Gibt es auch eine Mrs. Sideblossom?«, fragte Gwyn,
als Gäste und Gastgeber sich schließlich zum Essen gesetzt
hatten. Gwyneira hatte sich selbst John Sideblossom als Tischdame
zugeteilt, doch der Mann nahm sowenig Notiz von ihr, dass es fast
schon unhöflich war. Stattdessen hatte er nur Augen für
Fleur, die ein eher gelangweiltes Gespräch mit dem alten Lord
Barrington führte.Der Lord hatte seine Geschäfte in
Christchurch seinem Sohn übergeben und sich selbst auf einer
Farm in den Canterbury Plains zur Ruhe gesetzt, wo er mit mäßigem
Erfolg Pferde und Schafe züchtete.
John Sideblossom warf Gwyn einen Blick zu, als habe er sie eben
erst bemerkt.
»Nein, esgibt keine Mrs. Sideblossom mehr«, entgegnete
er auf Gwyns Frage. »Meine Gattin starb vor drei Jahren bei der
Geburtmeines Sohnes.«
»Das tut mir Leid«, bemerkte Gwyn und hatte selten
eine Floskel so ehrlich gemeint. »Auch für das Kind –
ich habe doch richtig verstanden, dass es überlebt hat?«
Der Farmer nickte. »Ja, mein Sohn wächst jetzt
praktisch bei den Maori-Hausangestellten auf. Keine besonders gute
Lösung, aber solange er noch klein ist, mag es gehen.Auf Dauer
muss ich mich allerdings nach etwas anderem umsehen. Es ist nur nicht
leicht, ein passendes Mädchen zu finden ...« Dabei
fixierte er weiterhin Fleur, was Gwyn irritierte und ärgerte.Der
Mann sprach von einem Mädchen wie von einem Paar Reithosen!
»Ist Ihre Tochter schon jemandem versprochen?«,
erkundigte er sich ganz nüchtern. »Sie scheint mir ein
sehr wohlerzogenes Mädchen zu sein.«
Gwyn wusste vor Verblüffung kaum etwas zu sagen. Mit langen
Vorreden hielt dieser Mann sich jedenfalls nicht auf!
»Fleurette ist noch sehr jung ...«, meinte sie
schließlich ausweichend.
Sideblossom zuckte die Schultern. »Das spricht nicht gegen
sie. Ich war immer der Meinung, man könnte die jungen Dinger gar
nicht früh genug verheiraten, sonst kommen sie nurauf dumme
Gedanken. Und sie gebären leichter, solange sie jung sind. Hat
mir die Hebamme damals gesagt, als Marylee starb. Marylee war bereits
fünfundzwanzig.«
Nach den letzten Worten wandte er sich von Gwyneira ab.
Irgendetwas, das Gerald gerade sagte, musste seine Aufmerksamkeit
erregt haben, und wenige Minuten später war er in ein angeregtes
Gespräch mit einigen anderen Viehzüchtern vertieft.
Gwyneirablieb ruhig, kochte innerlich aber vor Wut. Sie war es
gewohnt, dass Mädchen nicht um ihrer Persönlichkeit willen,
sondern aus dynastischen oder finanziellen Gründen umworben
wurden.Aber dieser Kerl trieb es eindeutig zu weit.Allein, wie er von
seiner verstorbenen Frau sprach: »Marylee war schon
fünfundzwanzig.« Das hörte sich ja an, als wäre
sie ohnehin bald an Altersschwäche gestorben, egal ob sie
Sideblossom vorher noch ein Kind geschenkt hätte oder nicht.
Als die Gäste sich später in lockeren Gruppen im Salon
zusammenfanden, um zu plaudern und die letzten Tischgespräche zu
beenden, bevor die Damen sich zu Tee und Likör in Gwyneiras
Salon, die Herren zu Zigarren und Whiskey in Geralds Refugium
zurückzogen, gesellte Sideblossom sich auf direktem Weg zu
Fleurette.
Gwyneira, die ihrem Gespräch mit Lady Barrington nicht
entfliehen konnte, beobachtete nervös, wie er Fleur ansprach.
Anscheinend verhielt er sich aber höflich und ließ sogar
seinen Charme spielen. Fleurette lächelte verlegen und ließ
sich dann ungezwungen in eine Unterhaltung verwickeln. Ihrem
Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sprachen die beiden wohl von
Hunden und Pferden. Jedenfalls wäre Gwyneira sonst nichts
eingefallen, das Fleur so wach und interessiert
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