Im Land der weissen Rose
die Stuten in der
Nacht wegzutreiben. Sollten sie sich irgendwo auf den Weiden
vergnügen, in den nächsten Tagen hatte sie Zeit genug, sie
wieder einzusammeln. Stattdessen würden die Männer die
Arbeitspferde holen und in die Boxen stellen. Das mochte am Morgen
für ein bisschen Aufruhr sorgen, aber Sideblossom würde das
Unternehmen sicher nicht verschieben, nur weil plötzlich andere
Pferde da waren als versprochen.
Das verriet sie Fleurette allerdings nicht. Ihre Angst, das
Mädchen könnte sich an derAktion beteiligen wollen, war zu
groß.
»Deine Niniane ist spätestens übermorgen wieder
da!«, tröstete sie Fleur stattdessen. »Sie wird
ihren Möchtegernreiter absetzen und nach Hause kommen. Solchen
Unsinn lässt sie nicht mit sich machen. Aber jetzt muss ich mich
umziehen.Abendessen mit den Anführern des Kriegszuges. Was für
ein Aufwand für einen einzigen Mann!«
Gwyn verzog sich, und Fleurette blieb zornig und grübelnd
zurück. Sie mochte sich mit ihrer Hilflosigkeit nicht abfinden.
Es war pure Gemeinheit von Gerald, Niniane weggeben zu wollen. Dann
reifte ein Plan in Fleur. Sie würde das Pferd in Sicherheit
bringen, während die Männer sich im Salon betranken. Dazu
musste sie sich allerdings gleich aus ihrem Zimmer schleichen,
schließlich führte jeder Weg in die Ställe durch den
Salon, der zurzeit aber wohl leer wäre. Die Gäste für
das Bankett zogen sich um. Und draußen herrschte das schiere
Chaos. Da fiel sie auch nicht auf, wenn sie ihr Haar unter einem Tuch
verbarg und sich beeilte. Von der Küchentür bis zur Scheune
waren es nur wenige Schritte. Wenn jemand sie sah, würde er sie
für ein Küchenmädchen halten.
Vielleicht wäre Fleurs Plan sogar gelungen, hätte Paul
seine Schwester nicht beobachtet. Der Junge war wieder einmal
schlecht gelaunt. Sein Idol John Sideblossom beachtete ihn nicht, und
Gerald hatte seine Bitte, mit auf die Strafexpedition gehen zu
dürfen, mit schroffen Worten abgelehnt. So hatte er nichts
Rechtes zu tun, lungerte bei den Ställen herum und war natürlich
höchst interessiert, als Fleurette sich nun in der Scheune
verbarg. Paul konnte sich zusammenreimen, was sie vorhatte.Aber er
würde dafür sorgen, dass Gerald sie nachher auf frischer
Tat ertappte.
Gwyneira brauchte ihre ganze Geduld und Langmut, um das abendliche
Bankett durchzustehen.Außer ihr waren nur Männer zugegen,
und ausnahmslos alle waren schon zu Beginn des Essens angetrunken.
Vorher leerten sie auch noch ein paar Gläser; dabei wurde Wein
gereicht, und bald begannen die ersten zu lallen. Alle lachten sie
über die dümmlichsten Scherze, riefen sich Zoten zu und
verhielten sich auch gegenüber Gwyneira alles andere als
gentlemanlike.
Wirklich unwohl fühlte sie sich aber erst, als John
Sideblossom nach dem letzten Gang plötzlich zu ihr trat.
»Wir müssen ein paar Worte reden, Miss Gwyn«,
sagte er in seiner direkten Art, und wieder einmal wirkte er nüchtern
inmitten dieser ganzen Horde von Trunkenbolden. Inzwischen kannte
Gwyneira ihn allerdings etwas besser und wusste die Anzeichen von
Trunkenheit zu erkennen. Seine Lider sanken dann etwas tiefer, und
sein Blick wirkte nicht kühl und distanziert, sondern
argwöhnisch und flackernd. Sideblossom hielt seine Gefühle
im Zaum, doch sie brodelten dichter unter der Oberfläche.
»Ich denke, Sie wissen, dass ich gestern um die Hand Ihrer
Tochter geworben habe. Fleurette hat mich abgewiesen.«
Gwyneira zuckte die Schultern. »Das ist ihr gutes Recht. In
zivilisierten Gegenden werden Mädchen gefragt, bevor man sie
verheiratet. Und wenn Sie Fleur nicht gefallen haben, kann ich auch
nichts daran ändern.«
»Sie könnten ein gutes Wort für mich einlegen
...«, meinte Sideblossom.
»Ich fürchte, das würde nichts nützen«,
bemerkte Gwyn und spürte, dass auch ihre Gefühle langsam an
die Oberfläche drängten. »Und ich würde es auch
nicht ohne weiteres tun. Ich kenne Sie nicht sehr gut, Mr.
Sideblossom, aber was ich gesehen habe, gefällt mir nicht ...«
Sideblossom grinste. »Ach, sieh an! Ich gefalle der Lady
nicht! Und was haben Sie an mir auszusetzen, Lady Warden?«,
fragte erkalt.
Gwyneira seufzte. Eigentlich hatte sie sich nicht auf eine
Diskussion einlassen wollen ... aber gut, wenn er es wollte!
»Dieser Kriegszug gegen einen einzelnen Mann«,
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