Im Land der weissen Rose
anfangs wohl nur als Bürodiener. Und das würden
beide ganz bestimmt als unter ihrer Würde betrachten. Helen
wünschte sich wieder einmal weit fort. Warum schrieb dieser
Howard nicht endlich? Und warum waren Schiffe so langsam, wo es doch
schon Dampfer gab und man nicht mehr auf günstige Winde
angewiesen war!
Der Reverend und seine Gattin empfingen Helen herzlich wie immer.
Es war ein wunderschöner warmer Frühlingstag, und Mrs.
Thorne hatte den Teetisch im Garten gedeckt. Helen atmete tief die
Blumendüfte ein und genoss die Stille. Der Park der Greenwoods
war zwar viel weiträumiger und stilvoller angelegt als der
winzige Garten des Reverends, doch hatte sie dort kaum eine ruhige
Minute.
Mit den Thornes dagegen konnte man auch gut einmal schweigen.
Gelassen genossen die drei ihren Tee und Mrs. Thornes
Gurkensandwiches sowie die selbst gebackenen Törtchen. Dann aber
kam der Reverend zur Sache.
»Helen, ich will ganz offen sprechen. Ich hoffe, Sie nehmen
es mir nicht übel. Natürlich wird hier alles vertraulich
behandelt, besonders die Gespräche zwischen Lady Brennan und
ihren jungen ... Besucherinnen.Aber Linda und ich wissen natürlich,
worum es geht. Und wir hätten schon blind sein müssen, wenn
Ihr Besuch bei Lady Brennan uns entgangen wäre.«
Helens Gesicht wurde abwechselnd rot und blass. Darüber also
wollte der Reverend reden. Sicher war er der Meinung, dass sie
Schande über das Andenken ihres Vaters brächte, wenn sie
ihre Familie verließ und ihre Existenz aufgab, um sich auf ein
Abenteuer mit einem Unbekannten einzulassen.
»Ich ...«
»Helen, wir sind nicht die Wächter über Ihr
Gewissen«, sagte Mrs. Thorne freundlich und legte ihr
beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich kann sogar sehr gut
verstehen, was eine junge Frau zu diesem Schritt treibt, und wir
lehnen Lady Brennans Engagement ja auch keineswegs ab. Der Reverend
würde ihr sonst kaum seine Amtsräume zur Verfügung
stellen.«
Helen fasste sich ein wenig.Also keine Standpauke? Aber was
wollten die Thornes dann von ihr?
Beinahe widerstrebend ergriff der Reverend jetzt wieder das Wort.
»Ich weiß, dass meine nächste Frage beschämend
indiskret ist, und ich wage es kaum, sie zu stellen. Nun, Helen, hat
Ihre ... äh, Bewerbung bei Lady Brennan schon etwas ergeben?«
Helen biss sich auf die Lippen. Warum, um Himmels willen, wollte
der Reverend das wissen? War ihm irgendetwas über Howard O’Keefe
bekannt, das sie wissen musste? War sie – Gott helfe ihr! –
einem Betrüger aufgesessen? Über eine solche Schande würde
sie niemals hinwegkommen!
»Ich habe auf einen Brief geantwortet«, sagte sie
steif. »Ansonsten hat sich weiter nichts getan.«
Der Reverend überschlug kurz die Zeit zwischen der Anzeige
und dem heutigen Datum. »Natürlich nicht, Helen, das wäre
auch so gut wie unmöglich. Zum einen hätten sich mehr als
günstige Winde für die Überfahrt ergeben müssen,
zum anderen hätte der junge Mann praktisch am Pier aufs Schiff
warten und seinen Brief gleich dem nächsten Kapitän
mitgeben müssen. Der normale Postweg geht viel langsamer,
glauben Sie mir. Ich stehe in regelmäßigem Briefwechsel
mit einem Amtsbruder in Dunedin.«
»Aber ... aber wenn Sie das wissen, was wollen Sie dann?«,
brach es aus Helen heraus. »Falls sich zwischen mir und Mr.
O’Keefe wirklich etwas ergibt, kann es ein Jahr und länger
dauern. Vorerst ...«
»Wir dachten daran, die Sache vielleicht ein wenig zu
beschleunigen«, brachte Mrs. Thorne, die deutlich praktischer
veranlagte Hälfte des Ehepaares,die Sache auf den Punkt. »Was
der Reverend eigentlich fragen wollte ... konnte der Brief dieses Mr.
O’Keefe Ihr Herz rühren? Könnten Sie sich wirklich
vorstellen, um dieses Mannes willen eine solche Reise zu machen und
alle Brücken hinter sich abzubrechen?«
Helen zuckte die Achseln. »Der Brief war wunderschön«,
bekannte sie und konnte nicht verhindern, dass ein Lächeln um
ihre Lippen spielte. »Ich lese ihn immer wieder, jede Nacht.
Und ja, ich könnte mir vorstellen, in Übersee ein neues
Leben anzufangen. Es ist meine einzige Chance auf eine Familie. Und
ich hoffe inständig, dass Gott mich leitet ... dass er es war,
der mich diese Anzeige lesen ließ ... dass er mich gerade
diesen Brief empfangen ließ und nicht irgendeinen
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