Im Land der weissen Rose
mühelos, schlank und beweglich, wie sie war. Oh ja, sie war
schön! Genauso schön, so wach und aufmerksam wie früher.
Ihr Haar sprengte schon wieder die strenge Frisur, in die sie es zu
zwingen versucht hatte. Ihr Gesicht war blass, die Lippen leicht
geöffnet. James versuchte nicht, ihren Blick zu fesseln, das
wäre zu schmerzlich gewesen. Später vielleicht, wenn sein
Herz nicht mehr so wild pochte und wenn er nicht mehr fürchtete,
seine Augen könnten alles verraten, was er noch für sie
empfand ... Vorerst zwang er sich, den Blick von ihr zu wenden und
weiter über die Zuschauerbänke schweifen zu lassen. Neben
Gwyneira erwartete er Gerald zu sehen, aber da saß ein Kind,
ein Junge, vielleicht zwölf Jahre alt. James hielt den Atem an.
Natürlich, das musste Paul sein, ihr Sohn. Paul war längst
alt genug, um seinen Großvater und seine Mutter zu dieser
Verhandlung zu begleiten. James musterte den Jungen. Vielleicht
verriet sein Vater sich ja in seinen Zügen ... Fleurette ähnelte
ihm selbst zwar kaum, aber das konnte bei jedem Kind verschieden
sein. Und bei diesem hier ...
McKenzie erstarrte, als er sich das Gesicht des Jungen näher
ansah. Das konnte nicht sein!Aber es stimmte ... der Mann, dem Paul
wie ein Ei dem anderen ähnelte, saß schließlich
direkt neben ihm: Gerald Warden.
McKenzie sah bei beiden das gleiche kantige Kinn, die
aufmerksamen, eng zusammenstehenden braunen Augen, die fleischige
Nase. Klare Züge, ein gleichermaßen entschlossener
Ausdruck in dem alten wie in dem jungen Gesicht. Hier war kein
Zweifel möglich, dieses Kind war ein Warden. James’
Gedanken rasten. Wenn Paul Lucas’Sohn war, warum hatte der
Vater sich damals an die Westcoast verdrückt? Oder ...
Die Erkenntnis nahm James den Atem wie ein plötzlicher Schlag
in den Magen. Geralds Sohn! Es konnte nicht anders sein, das Kind
zeigte kein bisschen Ähnlichkeit mit Gwyneiras Gatten. Und das
mochte auch der Grund für Lucas’ Flucht gewesen sein. Er
hatte seine Frau nicht beim Ehebruch mit einem Fremden ertappt,
sondern mit dem eigenen Vater... aber das war völlig unmöglich!
Gwyneira hätte sich Gerald niemals freiwillig hingegeben. Und
wenn, hätte sie es diskret gehandhabt. Lucas hätte nie
davon erfahren. So aber... Gerald musste Gwyneira in sein Bett
gezwungen haben.
James empfand tiefe Reue und Wut auf sich selbst. Jetzt endlich
wurde ihm klar, warum Gwyn nicht hatte reden können, warum sie
krank vor Scham und hilflos vor Angst vor ihm gestanden hatte. Sie
konnte ihm das nicht gestehen, dann wäre alles noch schlimmer
gekommen. James hätte den Alten erschlagen.
Stattdessen hatte er, James, Gwyneira auch noch verlassen. Hatte
alles noch schlimmer gemacht, indem er sie mit Gerald allein ließ
und sie zwang, dieses unselige Kind aufzuziehen, von dem Fleurette
nur vollerA bscheu gesprochen hatte. James fühlte Verzweiflung
in sich aufsteigen. Gwyn konnte ihm das nie verzeihen. Er hätte
es wissen müssen oder ihre Weigerung zu reden zumindest ohne
Fragen akzeptieren sollen. Er hätte ihr vertrauen müssen.Aber
so ...
James richtete den Blick noch einmal verstohlen auf ihr schmales
Gesicht – und erschrak, als sie den Kopf hob und ihn ansah. Und
dann war plötzlich alles ausgelöscht. Der Gerichtssaal
verschwamm vor seinen und Gwyneiras Augen, Paul Warden hatte es nie
gegeben. In einem magischen Kreis standen sich nur noch Gwyn und
James gegenüber. Er sah sie als junges Mädchen, das sich so
furchtlos auf das Abenteuer Neuseeland eingelassen hatte, aber
hoffnungslos vor dem Problem stand, Thymian für die englische
Küche auftreiben zu müssen. Er wusste noch genau, wie sie
ihn angelacht hatte, als er ihr das Sträußchen
überreichte. Und dann ihre seltsame Frage, ob er der Vater ihres
Kindes sein wollte ... die gemeinsamen Tage am See und in den Bergen.
Das unglaubliche Gefühl, als er Fleur das erste Mal in ihren
Armen gesehen hatte.
Zwischen Gwyneira und James schloss sich in diesem Augenblick ein
lange zerrissenes Band, und es würde sich nie wiederlösen.
»Gwyn ...« James’ Lippen formten unhörbar
ihren Namen, und Gwyneira lächelte leicht, als hätte sie
ihn verstanden. Nein, sie nahm ihm nichts übel.Sie hatte ihm
alles vergeben – und sie war frei. Jetzt endlich war sie frei
für ihn. Wenn er nur mitihr hätte reden können! Sie
mussten
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