Im Land der weissen Rose
bei dem Kartenspiel um Gwyneiras Hand so
ganz mit rechten Dingen zugegangen war, blieb auch fraglich. Gwyneira
fragte sich manchmal, wie Lucas zu all dem stand. War er so
tatkräftig wie sein Vater? Verwaltete er die Farm zurzeit
genauso effizient und kompromisslos? Oder zielte Geralds mitunter
vorschnelles Handeln auch darauf, den Aufenthalt in Europa und damit
Lucas’ Alleinherrschaft auf Kiward Station so weit als möglich
abzukürzen?
Jetzt erzählte sie Helen jedenfalls eine leicht abgeschwächte
Fassung von Geralds geschäftlichen Beziehungen zu ihrer Familie,
die dann zu der Brautwerbung geführt hatten. »Ich weiß,
dass ich auf eine florierende Farm heirate, mit vierhundert Hektar
Land und einem Schafbestand von fünftausend Tieren, der noch
weiter anwachsen soll«, endete sie schließlich. »Ich
weiß, dass mein Schwiegervater gesellschaftliche und
geschäftliche Beziehungen zu den besten Familien Neuseelands
unterhält. Er ist offensichtlich reich, sonst könnte er
sich diese Reise und das alles nicht leisten.Aber über meinen
künftigen Gatten weiß ich nichts!«
Helen hörte aufmerksam zu, doch fiel es ihr schwer, Gwyneira
zu bedauern. Tatsächlich wurde Helen eben schmerzhaft bewusst,
dass ihre neue Freundin deutlich besser über ihr künftiges
Leben informiert war als sie selbst. Ihr hatte Howard nichts über
die Größe seiner Farm berichtet, nichts über seinen
Viehbestand und seine gesellschaftlichen Kontakte. Ãœber seine
finanziellen Verhältnisse wusste sie nur, dass er zwar
schuldenfrei war, sich größere Ausgaben wie das Geld für
eine Europareise – und sei es nur auf dem Zwischendeck –
aber nicht ohne weiteres leisten konnte. Immerhin schrieb er
wunderschöne Briefe! Wieder einmal errötend, nestelte Helen
die schon völlig zerlesenen Schriftstücke aus der Tasche
und schob sie Gwyneira hinüber. Die beiden Frauen hatten
inzwischen auf dem Rand des Rettungsbootes Platz genommen. Gwyneira
las begierig.
»Tjaaa, schreiben kann er ...«, meinte sie schließlich
verhalten und faltete die Briefe zusammen.
»Finden Sie daran etwas merkwürdig?«, erkundigte
Helen sich ängstlich. »Gefallen Ihnen die Briefe nicht?«
Gwyneira zuckte die Schultern. »Mir müssen sie ja nicht
gefallen. Wenn ich ehrlich sein soll, finde ich sie ein bisschen
schwülstig. Aber ...«
»Aber?«, drängte Helen.
»Also, was ich komisch finde ... ich hätte nie gedacht,
dass ein Farmer so schöne Briefe schreibt.« Gwyneira wand
sich. Sie fand die Briefe mehr als seltsam. Natürlich mochte
Howard O’Keefe hochgebildet sein.Auch ihr eigener Vater war
schließlich Gentleman und Farmer zugleich; im ländlichen
England und in Wales war das nicht ungewöhnlich. Aber bei aller
Schulbildung hätte Lord Silkham niemals so übertriebene
Formulierungen gebraucht wie dieser Howard. Außerdem pflegte
man gerade bei Eheverhandlungen unter Adligen die Karten auf den
Tisch zu legen. Die zukünftigen Partner mussten wissen, was sie
erwartete, und hier vermisste Gwyneira Angaben zu Howards
wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie fand es auch seltsam, dass
er nicht nach einer Mitgift fragte oder zumindest ausdrücklich
darauf verzichtete.
Nun hatte der Mann natürlich nicht damit gerechnet, dass
Helen gleich das nächste Schiff nehmen würde, um in seine
Arme zu eilen. Vielleicht dienten diese Schmeicheleien nur der ersten
Kontaktaufnahme. Aber befremdlich fand sie es schon.
»Er ist eben sehr gefühlvoll«, nahm Helen ihren
Zukünftigen in Schutz. »Er schreibt genau so,wie ich es
mir gewünscht habe.« Sie lächelte glücklich und
in sich versunken.
Gwyneira gab das Lächeln zurück. »Dann ist es
gut«, erklärte sie, nahm sich im Stillen aber vor, ihren
künftigen Schwiegervater bei nächster Gelegenheit nach
Howard O’Keefe zu fragen. Der züchtete schließlich
auch Schafe. Gut möglich, dass die Männer einander kannten.
Zunächst allerdings kam sie nicht dazu – schon deshalb,
weil die Mahlzeiten, die gewöhnlich den geeigneten Rahmen für
solch angelegentliche Erkundigungen bildeten, aufgrund des rauen
Seegangs meistens ausfielen. Das schöne Wetter am ersten
Reisetag hatte sich als trügerisch erwiesen. Kaum war der
Atlantik erreicht, schlug der Wind um, und die Dublin kämpfte
sich durch
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