Im Land der weissen Rose
Stürme und Regen. Viele Passagiere waren seekrank und
zogen es deshalb vor, auf die Mahlzeiten zu verzichten oder sie
zumindest in ihrer Kabine einzunehmen. Gerald Warden und Gwyneira
waren zwar beide nicht empfindlich, doch wenn kein offizielles Dinner
anberaumt war, aßen sie oft zu unterschiedlichen Zeiten.
Gwyneira tat das gezielt; schließlich hätte ihr künftiger
Schwiegervater bestimmt nicht gebilligt, dass sie riesige Mengen an
Nahrung orderte, um sie Helens kleinen Zöglingen zukommen zu
lassen. Gwyn dagegen hätte am liebsten auch noch alle anderen
Zwischendeckpassagiere mit Essen versorgt. Zumindest die Kinder
brauchten jeden Bissen, den sie bekommen konnten – schon um
sich halbwegs warm zu halten. Zwar war Hochsommer und die
Außentemperaturen trotz des Regens nicht allzu niedrig. Doch
bei schwerer See brach Wasser in die Kabinen auf dem Zwischendeck,
und dann war alles feucht; dann gab es kaum einen trockenen Platz, an
dem man sich setzen konnte. Helen und die Mädchen froren in
ihren klammen Kleidern, aber Helen hielt trotzdem eisern an den
täglichen Unterrichtsstunden für ihre Zöglinge fest.
Die anderen Kinder auf dem Schiff erhielten zurzeit noch keinen
Schulunterricht. Der Schiffsarzt, dem diese Aufgabe obliegen sollte,
war seinerseits seekrank und betäubte sich mit reichlich Gin aus
der Reiseapotheke.
Auch sonst waren die Zustände auf dem Zwischendeck alles
andere als erfreulich. Im Familien- und Männerbereich liefen bei
stürmischer See die Toiletten über, dazu wusch sich die
Mehrheit der Passagiere selten bis nie. Bei den aktuell herrschenden
Temperaturen zeigte Helen ja selbst wenig Lust dazu, bestand aber
nach wie vor darauf, dass ihre Mädchen einen Teil der täglichen
Wasserration zur Körperhygiene verwendeten.
»Ich würde auch die Kleider gern waschen, aber die
trocknen einfach nicht, das ist hoffnungslos«, klagte sie,
woraufhin Gwyneira versprach, zumindest Helen mit einem Ersatzkleid
auszuhelfen. Ihre eigene Kabine war beheizt und perfekt isoliert.
Hier drang auch bei härtestem Seegang kein Wasser ein, das die
weichen Teppiche und eleganten Polstermöbel hätte verderben
können. Gwyneira hatte ein schlechtes Gewissen, aber sie konnte
Helen unmöglich anbieten, mit den Kindern zu ihr zu ziehen.
Gerald hätte das niemals gestattet. So nahm sie höchstens
mal Dorothy oder Daphne unter dem Vorwand mit hinauf, etwas an ihren
Kleidern richten zu müssen.
»Warum hältst du deine Schulstunden eigentlich nicht
unten bei den Tieren?«, fragte sie schließlich, nachdem
Helen ihr wieder einmal zitternd auf Deck begegnete, wo die Mädchen
abwechselnd aus Oliver Twist vorlasen. Es war kalt, aber immerhin
trocken, und die frische Luft war angenehmer als der feuchte Dunst
auf dem Zwischendeck.»Da wird jeden Tag sauber gemacht, auch
wenn die Matrosen fluchen. Mr. Warden prüft nach, ob die Schafe
und Pferde gut untergebracht sind. Und der Proviantmeister ist mit
den Schlachttieren pingelig. Die schleppt er schließlich nicht
mit, damit sie ihm eingehen und er das Fleisch über Bord werfen
muss.«
Wie sich herausgestellt hatte, dienten die Schweine und das
Geflügel als lebender Proviant für die Passagiere der
ersten Klasse, und die Kühe wurden tatsächlich täglich
gemolken. Die Reisenden auf dem Zwischendeck bekamen von all diesen
guten Dingen allerdings nichts zu sehen – bis Daphne einen
Jungen dabei ertappte, dass er nachts heimlich molk. Ohne die
geringsten Skrupel verpfiff sie ihn, jedoch nicht, ohne ihn vorher zu
beobachten und anschließend die Melkbewegungen nachzuahmen.
Seitdem gab es frische Milch für die Mädchen. Und Helen tat
so, als merke sie es nicht.
Daphne stimmte Gwyneiras Vorschlag denn auch gleich begeistert zu.
Sie hatte beim Melken und Eierstehlen längst bemerkt, um wie
viel wärmer es in den improvisierten Ställen unter Deck
war. Die großen Körper der Rinder und Pferde spendeten
tröstliche Wärme, und das Stroh war weich und oft trockener
als die Matratzen ihrer Kojen. Helen wollte sich zunächst
dagegen sperren, gab dann aber nach. Insgesamt hielt sie drei Wochen
Unterricht im Stall ab – bis der Proviantmeister sie erwischte,
des Diebstahls von Lebensmitteln verdächtigte und schimpfend
hinauswies. Inzwischen hatte die Dublin den Golf von Biscaya
erreicht. Die See wurde ruhiger, das Wetterwarm. Die
Zwischendeckpassagiere
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