Im Land der weissen Rose
Dreizehnjährige
vermitteln kann!« Gwyneira lachte und suchte in den Taschen
ihres weiten Hauskleides, über das sie nur einen leichten Umhang
geworfen hatte. »Die Welt ist schlecht. Hier, Mädchen,
habt ihr erst mal was Richtiges zum Kauen. Ist ja schön,
Servieren zu spielen, aber davon kriegt ihr auch nichts auf die
Rippen. Hier!«
Vergnügt förderte die junge Frau händeweise Muffins
und süße Brötchen zutage. Die Mädchen vergaßen
umgehend die eben gelernten Tischmanieren und stürzten sich auf
die Leckerbissen.
Helen versuchte, die Ordnung wieder herzustellen und die
Süßigkeiten zumindest gerecht zu verteilen. Gwyneira
strahlte.
»War doch eine gute Idee, nicht?«, fragte sie Helen,
als die sechs Kinder kauend auf dem Rand eines Rettungsbootes
hockten, wobei sie weisungsgemäß kleine Bissen nahmen und
sich die Küchlein nicht als Ganzes in den Mund stopften. »Auf
dem Oberdeck servieren sie ein Essen wie im Grand Hotel, da musste
ich an Ihre dürren Mäuse hier denken.Also hab ich den
Frühstückstisch ein bisschen abgeräumt. Das ist Ihnen
doch recht, oder?«
Helen nickte. »Von unserer Verpflegung hier werden sie
jedenfalls nicht zunehmen. Die Portionen sind nicht besonders
reichhaltig, und wir müssen das Essen auch selbst aus der
Kombüse holen. Da zweigen die älteren Mädchen auf dem
Weg schon die Hälfte ab – ganz abgesehen davon, dass zu
den Auswandererfamilien mittschiffs ein paar freche Bengel gehören.
Noch sind sie eingeschüchtert, aber passen Sie auf – in
zwei, drei Tagen werden sie den Mädchen auflauern und Wegezoll
verlangen! Aber die paar Wochen werden wir auch noch überstehen.
Und ich versuche, den Kindern etwas beizubringen. Das ist mehr, als
bisher sonst jemand getan hat.«
Während die Kinder zuerst aßen und dann mit Cleo
spielten, schlenderten die jungen Frauen plaudernd an Deck auf und
ab. Gwyneira war neugierig und wollte möglichst alles über
ihre neue Bekanntschaft erfahren. Schließlich erzählte
Helen von ihrer Familie und ihrer Stelle bei den Greenwoods.
»Dann wohnen Sie also nicht wirklich schon in Neuseeland?«,
fragte Gwyn ein wenig enttäuscht. »Haben Sie gestern nicht
gesagt, Ihr Ehemann würde Sie dort erwarten?«
Helen wurde rot. »Nun ... mein zukünftiger Ehemann. Ich
... Sie werden das sicher albern finden, aber ich reise nach Ãœbersee,
um mich dort zu verheiraten. Mit einem Mann, den ich bisher nur aus
Briefen kenne ...« Verschämt blickte sie zu Boden. Die
Ungeheuerlichkeit ihres Abenteuers wurde ihr jedes Mal erst dann
richtig bewusst,wenn sie anderen davon erzählte.
»Dann geht es Ihnen genau wie mir«,meinte Gwyneira
leichthin.»Und meiner hat mir noch nicht mal geschrieben!«
»Sie auch?«, wunderte sich Helen. »Sie folgen
auch der Brautwerbung eines Unbekannten?«
Gwyn zuckte die Schultern. »Na ja, unbekannt ist er nicht.
Er heißt Lucas Warden, und sein Vater hat für ihn
formvollendet um meine Hand angehalten...« Sie biss sich auf
die Lippen. »Ziemlich formvollendet«, berichtigte sie
sich dann. »So gesehen geht das alles in Ordnung.Aber was Lucas
betrifft ... ich hoffe, er will überhaupt heiraten. Sein Vater
hat mir nicht verraten, ob er ihn vorher gefragt hat ... «
Helen lachte, doch Gwyneira meinte es beinahe ernst. Sie hatte
Gerald Warden in den letzten Wochen nicht als einen Mann kennen
gelernt, der allzu viel fragte. Der Schaf-Baron traf seine
Entscheidungen schnell und allein, und auf Einmischungen anderer
konnte er ziemlich unwirsch reagieren.Auf diese Weise war es ihm
gelungen, in den Wochen seines Europaaufenthaltes ein enormes
organisatorisches Pensum zu erledigen. Vom Kauf der Schafe über
diverse Vereinbarungen mit Wollimporteuren, Besprechungen mit
Architekten und Spezialisten für den Brunnenbau bis zur
Brautwerbung für seinen Sohn erledigte er alles kühl und
mit atemberaubender Geschwindigkeit. Eigentlich gefiel Gwyneira sein
entschlossenes Vorgehen, aber manchmal machte es ihr ein wenig Angst.
Bei aller Verbindlichkeit hatte Warden eine aufbrausende Ader, und
bei geschäftlichen Verhandlungen zeigte er bisweilen eine Art
von Verschlagenheit, die vor allem Lord Silkham nicht behagte. Nach
Silkhams Meinung hatte der Neuseeländer den Züchter des
kleinen Hengstes Madoc nach allen Regeln der Kunst übers Ohr
gehauen – und ob es
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