Im Land der weissen Rose
offen und ohne Scheu plaudern
konnte. Die beiden wurden trotz ihrer verschiedenen
gesellschaftlichen Hintergründe und Interessen immer engere
Freundinnen.
Außerdem hatte Gwyn Gefallen an den sechs kleinen Mädchen
gefunden. Besonders die ernsthafte Dorothy hatte es ihr angetan, aber
auch die verträumte Elizabeth, die kleine Rosie und die mitunter
etwas zwielichtige, aber zweifellos kluge und lebenstüchtige
Daphne. Am liebsten hätte sie gleich alle sechs mit nach Kiward
Station genommen, und eigentlich hatte sie vorgehabt, mit Gerald
zumindest über ein neues Dienstmädchen zu sprechen. Dafür
sah es jetzt zwar nicht mehr allzu gut aus, aber die Reise war noch
lang, und Warden würde sich zweifellos beruhigen. Viel mehr
Kopfschmerzen machten Gwyneira die Dinge, die sie eben über
Howard O’Keefe erfahren hatte. Gut, der Name war häufig,
und zwei O’Keefes in einer Region waren sicher nicht
ungewöhnlich.Aber zwei Howard O’Keefes?
Was hatte Gerald wohl gegen Helens künftigen Ehemann?
Gwyn hätte ihre Überlegungen gern mit Helen geteilt,
hielt sich dann aber doch zurück. Was hätte es geholfen,
Helens Seelenfrieden zu torpedieren und ihre Ängste zu schüren?
Alle Spekulationen waren letztlich nichtig.
Inzwischen war es warm, fast schon heiß an Bord der Dublin.
Die Sonne brannte oft gnadenlos vom Himmel. Die Auswanderer hatten
dies zunächst genossen, aber jetzt, nach fast acht Wochen an
Bord, schlug die Stimmung um. Während die Kälte der ersten
Wochen die Menschen eher apathisch gemacht hatte, stimmten die Hitze
und die stickige Luft in den Kabinen sie zunehmend gereizt.
Im Zwischendeck rieb man sich aneinander und ärgerte sich
über die Fliege an der Wand. Es kam zu ersten Schlägereien
unter den Männern, mitunter auch zwischen Reisenden und
Besatzungsmitgliedern, wenn jemand sich bei der Essens- oder
Wasserverteilung übervorteilt fühlte. Der Schiffsarzt
setzte reichlich Gin ein, um die Blessuren zu reinigen und die
Gemüter zu beruhigen. Dazu gab es in fast allen Familien Streit;
die erzwungene Untätigkeit zerrte an den Nerven. Lediglich Helen
hielt auf Ruhe und Ordnung in ihrer Kabine. Sie beschäftigte die
Mädchen nach wie vor mit dem unendlichen Lernpensum rund um die
Arbeiten in einem hochherrschaftlichen Haushalt. Gwyneira schwirrte
oft selbst der Kopf, wenn sie zuhörte.
»Oh Gott, habe ich ein Glück, dem entkommen zu sein!«,
dankte sie lachend ihrem Schicksal.»Zur Herrin eines solchen
Haushaltshätte ich mich nicht geeignet. Ich hätte ständig
die Hälfte vergessen. Und ich brächte es gar nicht über
mich, die Hausmädchen täglich das Silber polieren zu
lassen! Die Arbeit ist doch völlig überflüssig!Und
warum muss man die Servietten so umständlich falten? Die werden
doch sowieso jeden Tag gebraucht ...«
»Das ist eine Frage der Schönheit und Schicklichkeit!«,
beschied Helen sie streng. »Außerdem wirst du sehr wohl
auf das alles achten müssen. Nach dem, was ich so höre,
erwartet dich auf Kiward Station ein Herrenhaus. Du hast selbst
gesagt, Mr. Warden hätte die Architektur seines Heims an
englischen Landhäusern orientiert und die Wohnräume von
einem Londoner Innenarchitekten ausstaffieren lassen. Glaubst du, der
hat auf Tafelsilber, Leuchter, Tabletts und Obstschalen verzichtet?
Und Tischwäsche gehört doch wohl zu deiner Aussteuer!«
Gwyneira seufzte. »Ich hätte nach Texas heiraten
sollen.Aber im Ernst, ich glaube ... hoffe ... Mr. Warden übertreibt.
Er will zwar ein Gentleman sein, aber unter all dem vornehmen Gehabe
steckt ein ziemlich rauer Kerl. Gestern hat er Mr. Brewster beim
Black Jack geschlagen. Was heißt geschlagen – er hat ihn
ausgenommen wie eine Weihnachtsgans! Und zum Schluss haben die
anderen Herren ihm vorgeworfen, er würde betrügen.
Daraufhin wollte er Lord Barrington fordern! Ich sage dir, es ging zu
wie in einer Hafenkaschemme! Schließlich hat der Kapitän
selbst um Mäßigung bitten lassen. In Wirklichkeit ist
Kiward Station wahrscheinlich ein Blockhaus, und ich muss die Kühe
selber melken.«
»Das könnte dir so passen!«, lachte Helen, die
ihre Freundin inzwischen recht gut kennen gelernt hatte. »Aber
mach dir nichts vor. Du bist und bleibst eine Lady, im Zweifelsfall
sogar im Kuhstall – und das gilt auch für dich, Daphne!
Nicht
Weitere Kostenlose Bücher