Im Land der weissen Rose
nicht
vermissen.
Â
9
»Wie lange reitet man wohl von Kiward Station bis nach
Christchurch?«, erkundigte sich Gwyneira. Sie saß
gemeinsam mit Gerald Warden und den Brewsters vor einem reichlich
gedeckten Frühstückstisch im White Hart Hotel. Letzteres
war nicht elegant, aber ordentlich, und nach dem anstrengenden
gestrigen Tag hatte sie in ihrem bequemen Bett wie tot geschlafen.
»Nun ja, das kommt auf den Mann und das Pferd an«,
bemerkte Gerald launig. »Es sind um die fünfzig Meilen,
mit den Schafen werden wir zwei Tage brauchen.Aber ein Postreiter,
der es eilig hat und zwischendurch ein paar Mal die Pferde wechselt,
sollte es leicht in ein paar Stunden schaffen. Der Weg ist nicht
befestigt, aber ziemlich eben. Ein guter Reiter kann durch
galoppieren.«
Gwyneira fragte sich, ob Lucas Warden wohl ein guter Reiter war –
und warum zum Teufel er sich nicht schon gestern aufs Pferd gesetzt
hatte, um seine Braut in Christchurch in Augenschein zu nehmen!
Natürlich mochte es sein, dass er noch nichts von der Ankunft
der Dublin wusste.Aber sein Vater hatte ihm das Abfahrtsdatum doch
mitgeteilt, und es war allgemein bekannt, dass die Schiffe zwischen
75 und 120 Tagen für die Überfahrt brauchten. Die Dublin
war 104 Tage unterwegs gewesen. Warum also wartete Lucas nicht hier
auf sie? War er auf Kiward Station derart unabkömmlich? Oder war
er gar nicht so sehr darauf erpicht,seine künftige Frau kennen
zu lernen? Gwyneira selbst wäre lieber heute als morgen
aufgebrochen, um ihr neues Zuhause zu erreichen und endlich dem Mann
gegenüberzustehen, dem man sie blind anverlobt hatte. Lucas
musste es doch genauso ergehen!
Gerald lachte, als sie eine entsprechende Bemerkung machte.
»Mein Lucas hat Geduld«, bemerkte er dann. »Und
Sinn für Stil und große Auftritte. Wahrscheinlich könnte
er es sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen, dir
bei der ersten Begegnung in verschwitzten Reitsachen
gegenüberzutreten. Da ist er ganz Gentleman ...«
»Aber mir würde das nichts ausmachen!«, wandte
Gwyneira ein. »Und er würde doch auch hier im Hotel wohnen
und könnte sich vorher umziehen, wenn er schon meint, ich hielte
so viel auf Förmlichkeiten! «
»Ich denke, dieses Hotel hat nicht seine Klasse«,
brummte Gerald. »Warte es ab, Gwyneira, er wird dir schon
gefallen.«
Lady Barrington lächelte und legte geziert ihr Besteck
beiseite. »Es ist doch eigentlich ganz schön, wenn der
junge Mann sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegt«,
bemerkte sie. »Wir sind schließlich nicht unter Wilden.
In England hätten Sie Ihren Zukünftigen ja auch nicht in
einem Hotel kennen gelernt, sondern eher beim Tee in Ihrem oder
seinem Zuhause.«
Dem musste Gwyneira zwar zustimmen, aber sie konnte sich einfach
nicht aufraffen, all ihre Träume vom unternehmungslustigen
Pioniergatten, vom erdverbundenen Farmer und Gentleman mit
Forscherdrang aufzugeben. Lucas musste anders sein als die blutleeren
Viscounts und Baronets in ihrer Heimat!
Dann aber fasste sie wieder Hoffnung. Vielleicht sagte diese Scheu
ja gar nichts über Lucas selbst aus, sondern ging nur auf seine
übertrieben vornehme Erziehung zurück! Bestimmt hielt er
Gwyneira für genauso steif und schwierig wie einstmals seine
Gouvernanten und Hauslehrer. Und dazu war sie auch noch adelig.
Sicher fürchtete Lucas sich vor dem kleinsten Fauxpas in ihrem
Beisein. Vielleicht hatte er sogar ein bisschen Angst vor ihr.
Gwyn versuchte, sich mit diesen Gedanken zu trösten, doch so
ganz gelang es ihr nicht. Bei ihr selbst hätte die Neugier
schnell über die Furcht triumphiert.Aber vielleicht war Lucas ja
wirklich schüchtern und brauchte eine gewisse Anlaufzeit.
Gwyneira dachte an ihre Erfahrung mit Hunden und Pferden: Die
scheuesten und zurückhaltendsten Tiere waren oft die besten,
wenn man erst Zugang zu ihnen fand. Warum sollte das bei Männern
anders sein? Wenn Gwyneira Lucas erst kennen lernte, würde er
schon aus sich herausgehen!
Vorerst wurde Gwyneiras Geduld jedoch weiter auf die Probe
gestellt. Gerald Warden hatte keineswegs vor, gleich an diesem Tag
nach Kiward Station aufzubrechen, wie sie im Stillen gehofft hatte.
Stattdessen hatte er noch einige Dinge in Christchurch zu erledigen
und musste auch den Transport der vielen, in Europa erstandenen Möbel
und anderen Haushaltsgegenstände organisieren. Das alles,
eröffnete
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