Im Land der weissen Rose
anscheinend hatte sie sich vorher über die
Leute erkundigt. Ihr Erscheinungsbild schien besonders die Frau zu
beeindrucken, die selbst adrett und schlicht gekleidet war. Unter
ihrem kleinen, dezent mit einem winzigen Schleier geschmückten
Hut schaute ein klares Gesicht mit ruhigen braunen Augen hervor. Ihr
Lächeln wirkte offen und freundlich, und sie konnte sich
offensichtlich kaum darüber beruhigen, wie perfekt der Zufall
sie mit ihrem neuen Dienstmädchen zusammengeführt hatte.
»Erst vorgestern sind wir aus Haldon gekommen, und gestern
wollten wir schon wieder abfahren. Aber dann hatte meine Schneiderin
doch noch ein paar Änderungen an meiner Bestellung vorzunehmen,
und ich sagte zu Richard: Bleiben wir noch und gönnen uns ein
Dinner im Hotel! Richard war ganz begeistert, als er von all den
interessanten Leuten hörte, die eben mit der Dublin angekommen
waren,und wir hatten einen sehr anregenden Abend! Und wie gut, dass
Richard auf den Einfall kam, hier gleich nach unserem Mädchen zu
fragen!« Während die Dame sprach, zeigte sie ein lebhaftes
Mienenspiel und nahm teilweise die Hände zu Hilfe, um ihre Rede
zu unterstreichen. Helen fand sie äußerst sympathisch.
Richard, der zugehörige Gatte, wirkte gesetzter, aber ebenfalls
freundlich und gutmütig.
»Miss Davenport, Miss Silkham – Mr. und Mrs.
Candler!«, stellte Mrs. Baldwin vor und unterbrach damit Mrs.
Candlers Redestrom,der ihr sichtlich lästigfiel. »Miss
Davenport hat die Mädchen während der Überfahrt
begleitet. Sie kann Ihnen mehr über Daphne sagen als ich.Also
gebe ich Sie jetzt einfach in ihre Obhut und suche meinerseits die
nötigen Papiere für Sie heraus. Dann können Sie das
Mädchen nachher mitnehmen.«
Mrs. Candler wandte sich gleich ebenso mitteilungsfreudig an Helen
wie zuvor an die Frau des Pastors. Helen hatte keine Mühe, dem
Ehepaar ein paar Informationen zu Daphnes künftigem Arbeitsplatz
zu entlocken. Tatsächlich berichteten die beiden ihr sogar einen
ganzen Abriss ihres bisherigen Lebens auf Neuseeland. Dabei erzählte
Mr. Candler launig von den ersten Jahren in Lyttelton, das damals
noch Port Cooper genannt worden war. Gwyneira, Helen und die Mädchen
lauschten fasziniert seinen Erzählungen von Walfang und
Seehundjagd. Mr. Candler selbst hatte sich allerdings nicht mutig
aufs Meer hinausgewagt.
»Nein, nein, das ist was für Verrückte, die nichts
zu verlieren haben!Aber ich hatte damals schon meine Olivia und die
Jungs – da schlag ich mich doch nicht mit Riesenfischen rum,
die mir nur an den Kragen wollen! Tun mir auch irgendwie Leid, die
Viecher. Die Seehunde besonders, die gucken so treu ...«
Stattdessen hatte Mr. Candler einen Kramladen geführt, der so
viel einbrachte, dass er sich später, als die ersten Siedler in
den Canterbury Plains bauten, ein schönes Stück Land für
eine Farm leisten konnte.
»Aber ich hab schnell gemerkt, dass ich mit Schafen nichts
am Hut hab!«, gab er freimütig zu.»Das ganze
Tierzeug liegt mir nicht, und meiner Olivia auch nicht!« Er
streifte seine Frau mit einem liebevollen Blick. »Also haben
wir alles wieder verkauft und einen Laden in Haldon aufgemacht. Das
gefällt uns – da ist Leben, da gibt’s was zu
verdienen, und der Ort wächst. Beste Aussichten für unsere
Jungs. «
Die »Jungs« – Candlers drei Söhne –
waren zwischen sechzehn und dreiundzwanzig. Helen bemerkte, wie
Daphnes Augen aufblitzten, als Mr. Candler sie erwähnte. Sofern
das Mädchen sich klug verhielt und seine Reize spielen ließ,
würde einer von ihnen sicher ihrem Charme erliegen. Und wenn
Helen sich ihren eigenwilligen Zögling auch nie als
Dienstmädchen hatte vorstellen können – als geachtete
und von den männlichen Kunden zweifellos angebetete Händlersfrau
wäre sie genau am richtigen Platz.
Helen wollte sich schon von Herzen für Daphne freuen, als
Mrs. Baldwin wieder auf den Hof vor den Ställen kam, diesmal
begleitet von einem großen, breitschultrigen Mann mit kantigen
Gesichtszügen und hellblauen, forschenden Augen. Sie erfassten
wieselflink die Szenerie auf dem Hof, streiften kurz die Candlers,
wobei der Blick des Mannes deutlich länger auf Mrs. Candler als
auf ihrem Gatten hängen blieb; dann schweifte er weiter zu
Gwyneira, Helen und den Mädchen. Dabei konnte Helen seine
Aufmerksamkeit
Weitere Kostenlose Bücher