Im Land der weissen Rose
schienen sie auch
Lucas gut zu kennen. Und während sie sich bei Bemerkungen über
Howard O’Keefe bislang sehr zurückgehalten hatten, konnten
sie über Gwyneiras Zukünftigen gar nicht genug Lobendes
sagen.
»Ein äußerst kultivierter junger Mann!«,
pries Mrs. Baldwin.
»Hervorragend erzogen und hochgebildet! Ein sehr reifer und
ernster Mensch!«, fügte der Reverend hinzu.
»Äußerst kunstinteressiert!«, erklärte
Vikar Chester mit strahlenden Augen. »Belesen, intelligent!Als
er zum letzten Mal hier war, haben wir die ganze Nacht in so
anregendem Gespräch verbracht, dass ich fast die Morgenmesse
verpasst hätte!«
Gwyneira wurde bei diesen Beschreibungen immer mulmiger zumute. Wo
war ihr Farmer, ihr Cowboy? Ihr Held aus den Groschenheftchen?
Allerdings gab es hier keine Frauen aus den Fängen der Rothäute
zu befreien. Aber hätte der verwegene Revolverheld stattdessen
die Nächte mit dem Pfarrer verplaudert?
Auch Helen war still. Sie fragte sich, warum Chester keine
vergleichbaren Loblieder auf Howard sang; außerdem ging ihr
Lauries und Marys Weinen nicht aus dem Kopf. Sie sorgte sich um die
verbliebenen Mädchen, die immer noch im Stall auf ihre
Dienstherren warteten. Da nutzte es auch nichts, dass sie Rosemary
bereits wiedergesehen hatte. Die Kleine war am Nachmittag knicksend
und im Gefühl allergrößter Wichtigkeit mit einem Korb
voll Teegebäck im Pfarrhaus erschienen. Die Besorgung war ihr
erster Auftrag von Mrs. McLaren, und sie war überaus stolz, ihn
zur allseitigen Zufriedenheit erledigen zu können.
»Rosie macht einen glücklichen Eindruck«, freute
sich denn auch Gwyneira, die den Auftritt der Kleinen mitbekommen
hatte.
»Wenn die anderen es nur auch so gut getroffen hätten
...«
Unter dem Vorwand, ein bisschen frische Luft zu brauchen, hatte
Helen ihre Freundin nach dem Tee nach draußen begleitet, und
nun schlenderten die beiden Frauen durch die relativ breiten Straßen
der Stadt und konnten endlich offen reden. Helen verlor dabei fast
die Beherrschung. Mit feuchten Augen berichtete sie Gwyneira von Mary
und Laurie.
»Und ich habe nicht das Gefühl, als kämen sie
irgendwie darüber hinweg«, endete sie schließlich.
»Die Zeit soll zwar alle Wunden heilen, aber in diesem Fall ...
Ich glaube, es bringt sie um, Gwyn! Sie sind doch noch so klein. Und
ich kann diese bigotten Baldwins nicht mehr sehen! Der Reverend hätte
sehr wohl etwas für die Mädchen tun können. Sie führen
eine Warteliste von Familien, die Dienstmädchen suchen! Bestimmt
hätten sich zwei benachbarte Häuser gefunden. Stattdessen
schicken sie Mary zu diesen Willards. Das kleine Ding ist da doch
völlig überfordert. Sieben Kinder, Gwyneira! Und das achte
unterwegs. Da soll Mary dann wohl noch Geburtshilfe leisten.«
Gwyneira seufzte. »Wenn ich bloß dabei gewesen wäre!
Vielleicht hätte Mr. Gerald etwas tun können. Kiward
Station benötigt doch bestimmt Personal. Und ich brauche eine
Zofe! Schau dir mein Haar an – das kommt dabei heraus, wenn ich
es allein aufstecke.«
Gwyneira sah tatsächlich ein bisschen wild aus.
Helen lächelte unter Tränen und steuerte erneut das Haus
der Baldwins an. »Komm mit«, lud sie Gwyn ein. »Daphne
kann die Frisur in Ordnung bringen. Und wenn sich für sie und
Dorothy heute niemand mehr findet, solltest du vielleicht wirklich
mit Mr. Warden reden. Wetten, dass Baldwins kuschen, wenn er Daphne
oder Dorothy anfordert?«
Gwyneira nickte. »Und du könntest die andere nehmen!«,
schlug sie vor. »Ein ordentlicher Haushalt braucht ein
Dienstmädchen, das sollte dein Howard einsehen. Wir müssten
uns nur noch einig werden, wer Dorothy bekommt und wer sich mit
Daphnes vorlautem Mundwerk herumschlagen muss...«
Bevor sie zur Klärung dieser Frage eine Partie Black Jack
vorschlagen konnte, erreichten die beiden das Pfarrhaus, vor dem ein
Fuhrwerk stand. Helen erkannte, dass ihr schöner Plan kaum
Wirklichkeit werden würde.Auf dem Hof unterhielt sich Mrs.
Baldwin denn auch bereits mit einem älteren Ehepaar, während
Daphne brav daneben wartete. Das Mädchen wirkte wie ein Ausbund
an Tugend. Ihr Kleid war makellos sauber und ihr Haar so streng und
ordentlich aufgesteckt, wie Helen es selten gesehen hatte. Daphne
musste sich speziell für das Treffen mit ihren Dienstherren
hergerichtet haben;
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