Im Land Der Weissen Wolke
Gefahr. Meine Großmutter sagt, es wird prächtiges Kind.«
Als bei Kiri die Wehen einsetzten, verschwand Rongo Rongo. Als eifrige Schülerin Matahoruas war sie trotz ihrer Jugend als Hebamme begehrt und verbrachte manche Nacht im Maori-Dorf. Diesmal kam sie gegen Morgen vergnügt zurück. Kiri hatte ein gesundes Mädchen geboren.
Schon drei Tage nach der Geburt führte sie Gwyneira stolz ihre Tochter vor.
»Ich sie nenne Marama. Schöner Name für schönes Kind. Heißt ›Mond‹. Ich sie bringen mit zu Arbeit. Kann spielen mit Kind von Miss Gwyn!«
Gerald Warden würde dazu sicher seine eigenen Ansichten haben, doch Gwyneira ließ die Bemerkung unkommentiert. Wenn Kiri das Kind bei sich haben wollte, sollte sie es mitbringen. Gwyn fand inzwischen nichts mehr dabei, ihrem Schwiegervater zu widersprechen. Gerald zog sich dann meist schweigend zurück. Die Machtverhältnisse auf Kiward Station hatten sich gewandelt, ohne dass Gwyn wirklich verstand, was der Grund dafür war.
Diesmal stand niemand im Garten, als Gwyneira in den Wehen lag, und niemand wartete gespannt im Salon. Gwyn wusste nicht, ob jemand Gerald von der bevorstehenden Geburt in Kenntnis gesetzt hatte, und es war ihr auch egal. Wahrscheinlich verbrachte der alte Mann die Nacht wieder mit einer Flasche in seinen Räumen – und bis die Sache überstanden war, würde er sowieso nicht mehr fähig sein, die Nachricht zu begreifen.
Wie Rongo Rongo vorhergesagt hatte, verlief die Geburt nicht so unkompliziert wie Fleurettes. Das Kind war deutlich größer – und Gwyneira war unwillig. Bei Fleurette hatte sie ihre Stunde herbeigesehnt, auf jedes Wort der Hebamme geachtet und sich bemüht, eine wahre Vorzeigemutter zu werden. Jetzt ließ sie nur alles stumpfsinnig über sich ergehen, ertrug die Wehen mal stoisch, mal aufbegehrend. Dabei verfolgten sie die Erinnerungen an die Schmerzen, unter denen dieses Kind gezeugt worden war. Sie meinte, Geralds Gewicht wieder auf sich zu spüren, seinen Schweiß zu riechen. Zwischen den Wehen übergab sie sich mehrmals, fühlte sich schwach und geschlagen und schrie schließlich Wut und Schmerz heraus. Am Ende war sie völlig ermattet und wollte nur noch sterben. Oder noch besser, dieses Wesen sollte sterben, das sich in ihrem Leib festklammerte wie ein bösartiger Parasit.
»Komm endlich raus!«, stöhnte sie. »Komm endlich raus, und lass mich in Ruhe ...« Nach fast zwei Tagen voller Qual – und am Ende fast rasendem Hass auf alle, die ihr das angetan hatten – brachte Gwyneira einen Sohn zur Welt. Sie spürte nichts als Erleichterung.
»So wunderschöner kleiner Junge, Miss Gwyn!«, strahlte Rongo. »Wie Matahorua gesagt hat. Warten Sie, ich wische ihn ab, und dann Sie können ihn halten. Wir ihm geben noch ein wenig Zeit, bevor wir Nabelschnur durchtrennen ...«
Gwyneira schüttelte wild den Kopf. »Nein, trenn sie durch, Rongo. Und bring ihn weg. Ich will ihn nicht halten. Ich will schlafen ... muss mich ausruhen ...«
»Aber das Sie können gleich. Schauen Baby erst mal an. Hier, ist nicht süß?« Rongo hatte das Baby geschickt gesäubert und legte es auf Gwyns Brust. Es machte erste Saugbewegungen. Gwyneira schob es von sich. Gut, es war gesund, es war vollkommen mit seinen winzigen Fingern und Zehen, aber sie mochte es trotzdem nicht.
»Bring es weg, Rongo!«, verlangte sie bestimmt.
Rongo verstand nicht. »Aber wohin ich soll es denn bringen, Miss Gwyn? Es Sie brauchen. Es brauchen seine Mutter!«
Gwyn zuckte die Achseln. »Bring es zu Mr. Gerald. Der wollte einen Erben, jetzt hat er ihn. Soll er sehen, wie er damit fertig wird. Nur mich lass in Ruhe! Wird’s bald, Rongo? Oh, Gott, nein, es fängt wieder an ...« Gwyneira stöhnte. »Es kann doch nicht noch mal drei Stunden dauern, bis die Nachgeburt kommt ...«
»Ist jetzt müde, Miss Gwyn. Ist normal«, begütigte Kiri, als die aufgeregte Rongo mit dem Baby in die Küche kam. Kiri und Moana waren mit dem Aufräumen nach dem Abendbrot beschäftigt, das Gerald allein eingenommen hatte. Die kleine Marama schlummerte in einem Körbchen.
»Das nicht ist normal!«, widersprach Rongo. »Matahorua hat tausend Kinder geholt, aber keine Mutter so reagieren wie Miss Gwyn.«
»Ach, jede Mutter anders ...«, behauptete Kiri und dachte an den Morgen, als sie Gwyn mit zerrissenen Kleidern auf dem Boden ihrer Räume gefunden hatte. Vieles sprach dafür, dass das Kind in dieser Nacht gezeugt worden war. Gwyn mochte Gründe haben, es nicht zu lieben.
»Und
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