Im Land Der Weissen Wolke
Bau wäre ’ne Möglichkeit! Die Zimmerleute suchen ständig Hilfe. Sie kommen mit den Aufträgen kaum nach, alle Welt will plötzlich Häuser am Buller. Wir werden noch ’ne richtige Stadt! Aber zahlen tun die nicht viel. Kein Vergleich mit dem, was du damit verdienst!« Er zeigte auf die Felle.
Lucas nickte. »Ich weiß. Aber ich frage trotzdem mal. Ich ... ich hab mir schon immer vorstellen können, mit Holz zu arbeiten.«
Der Pub war klein und nicht besonders sauber. Doch Lucas stellte erleichtert fest, dass sich keiner der Gäste an ihn erinnerte. Wahrscheinlich hatten sie den Matrosen der Pretty Peg gar keinen zweiten Blick geschenkt. Lediglich das rothaarige Mädchen, das auch heute wieder bediente, schien ihn abschätzend zu betrachten, als sie den Tisch abwischte, bevor sie Whiskeygläser vor Norman und Lucas hinstellte.
»Tut mir Leid, dass es hier wieder mal aussieht wie im Schweinestall«, sagte das Mädchen. »Ich hab’s Miss Jolanda gesagt, dass der Chinese nicht richtig putzt ...« Der »Chinese« war der ziemlich exotisch wirkende Barmann. »Aber solange sich keiner beschwert ... Nur den Whiskey, oder soll’s auch was zu essen sein?«
Lucas hätte gern etwas gegessen. Irgendetwas, das nicht nach Meer und Seetang und Blut roch und nicht rasch am Feuer der Seehundjäger gebraten und oft halb roh heruntergeschlungen wurde. Zudem schien das Mädchen auf Sauberkeit zu achten. Vielleicht war also auch die Küche nicht so verdreckt, wie auf den ersten Blick zu befürchten war.
Norman lachte. »Was zum Vernaschen, Kleine! Essen können wir auch im Lager, aber so einen süßen Nachtisch wie dich gibt’s da nicht ...« Er kniff das Mädchen ins Hinterteil.
»Du weißt, dass das ’n Cent kostet, Kleiner, ja?«, sagte sie. »Ich sag’s Miss Jolanda, dann kommt’s mit auf deine Rechnung. Aber ich will nicht so sein – für den Cent kannst du auch noch mal hier anfassen.« Die Rothaarige wies auf ihre Brust. Begleitet vom Johlen der anderen Männer, griff Norman herzhaft zu. Dann entzog das Mädchen sich geschickt seiner Hand. »Mehr gibt’s später, wenn du bezahlt hast.«
Die Männer lachten, als sie davonstakste. Sie trug hohe Schuhe in aufreizendem Rot und ein Kleid in verschiedenen Grünschattierungen. Es war alt und mehrmals geflickt, aber sauber, und die Spitzenvolants, die es aufreizender wirken ließen, waren sorgfältig gestärkt und gebügelt. Lucas fühlte sich ein wenig an Gwyneira erinnert. Sicher, die war eine Lady, und dieses halbe Kind hier eine Hure, aber sie hatte ebenfalls krauses rotes Haar, helle Haut und dieses Blitzen in den Augen, das ganz und gar nicht davon kündete, dass sie sich ergeben in ihr Schicksal fügte. Für dieses Mädchen war hier bestimmt noch nicht Endstation.
»Süße Maus, nicht?«, bemerkte Norman, der Lucas’ Blick wahrnahm, aber völlig falsch deutete. »Daphne. Miss Jolandas bestes Pferd im Stall und obendrein schon ihre rechte Hand. Ohne die läuft hier gar nichts, sag ich dir. Hat alles im Griff. Wenn die Alte schlau wäre, würde sie die Maus adoptieren. Aber die denkt nur an sich. Irgendwann wird das Mädel ihr weglaufen und die besten Attraktionen mitnehmen. Wie sieht’s aus? Willst du sie zuerst? Oder hat sonst einer Lust auf was Wildes?« Er blickte augenzwinkernd in die Runde.
Lucas wusste nicht, was er sagen sollte.
Zum Glück kam Daphne eben mit der zweiten Runde Whiskey.
»Die Mädchen halten sich oben bereit«, sagte sie, als sie die Gläser verteilte. »Trinkt in Ruhe aus, ich bring auch gern noch die Flasche, und dann kommt ihr rauf!« Sie lächelte aufmunternd. »Aber lasst uns nicht zu lange warten. Ihr wisst ja, ein bisschen Schnaps steigert den Spaß, aber zu viel macht schlapp ...« Ebenso schnell wie Norman vorhin nach ihrem Hinterteil gegriffen hatte, fasste sie ihm jetzt zur Revanche zwischen die Beine.
Norman schrak zurück, musste dann aber lachen.
»Krieg ich dafür auch ’nen Cent?«
Daphne schüttelte den Kopf und ließ ihr rotes Haar dabei fliegen.
»Vielleicht ’nen Kuss?«, flötete sie und entschwebte, bevor Norman antworten konnte. Die Männer pfiffen hinter ihr her.
Lucas trank seinen Whiskey und fühlte sich schwindelig. Wie kam er hier bloß wieder heraus, ohne vorher noch einmal kläglich zu versagen? Daphne erregte ihn kein bisschen. Und dabei schien sie durchaus ein Auge auf ihn geworfen zu haben. Auch eben hatten ihre Blicke ein wenig länger auf seinem Gesicht und seiner schlanken, aber muskulösen
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