Im Land Der Weissen Wolke
Seehundbänke, zwölf Meilen von Westport. Die Seehundjäger wussten sicher nichts von der Pretty Peg und dürften sich auch kaum dafür interessieren. Die Jagd in Tauranga sollte aber durchaus florieren; sicher fand er dort Arbeit. Frohen Mutes machte Lucas sich auf den Weg. Seehundjagd konnte nicht schlimmer sein als Walfang ...
Die Männer in Tauranga hatten ihn auch tatsächlich freundlich aufgenommen, und der Gestank in ihrem Lager hielt sich in Grenzen. Schließlich lag es unter freiem Himmel, und die Männer waren nicht zusammengepfercht. Natürlich musste den Leuten klar sein, dass irgendetwas mit Lucas nicht stimmte, aber sie stellten keine Fragen zu seinem abgerissenen Äußeren, seiner fehlenden Ausrüstung und dem Mangel an Geld. Lucas’ fadenscheinige Begründungen taten sie mit einer Handbewegung ab.
»Ist nicht schlimm, Luke, dich kriegen wir auch noch satt. Mach dich nützlich, erleg ein paar Heuler. Am Wochenende bringen wir die Felle nach Westport. Dann hast du wieder Geld.« Norman, der älteste Jäger, sog gemütlich an seiner Pfeife. Lucas hatte die dunkle Ahnung, dass er hier nicht der Einzige war, der vor irgendetwas davonlief.
Lucas hätte sich unter diesen schweigsamen, gelassenen Coastern sogar wohl fühlen können, wäre da nur nicht die Jagd gewesen! Sofern man das Abschlachten hilfloser Jungtiere vor den Augen ihrer entsetzten Mütter überhaupt als solche bezeichnen konnte. Zweifelnd blickte er auf den Knüppel in seiner Hand und das Tierchen vor ihm ...
»Nu mach schon, Luke! Hol dir das Fell! Oder glaubst du, in Westport geben sie dir am Samstag Geld, weil du uns beim Abhäuten geholfen hast? Hier hilft jeder jedem, aber Geld gibt’s nur für die eigenen Felle!«
Lucas sah keinen Ausweg. Er schloss die Augen und schlug zu.
9
Am Ende der Woche hatte Lucas fast dreißig Seehundfelle zusammen – und wurde noch mehr von Scham und Selbsthass geplagt als nach der Episode auf der Pretty Peg . Er war fest entschlossen, nach dem Wochenende in Westport nicht an die Seehundbänke zurückzukehren. Westport war eine aufstrebende Siedlung. Es musste dort Anstellungen geben, die ihm weniger nahe gingen – auch wenn er damit zugab, kein richtiger Mann zu sein.
Der Aufkäufer der Felle, ein kleiner, drahtiger Mann, der auch den Laden in Westport führte, war hier durchaus optimistisch. Wie Lucas gehofft hatte, brachte er den neuen Jäger auf den Seehundbänken nicht mit dem Walfänger in Verbindung, der von der Pretty Peg geflohen war. Vielleicht dachte er nicht so weit, oder es war ihm einfach egal. Jedenfalls gab er ihm ein paar Cents für jedes Fell und beantwortete dann bereitwillig seine Fragen nach anderer Arbeit in Westport. Wobei Lucas natürlich nicht zugab, dass ihm das Töten zu schaffen machte. Stattdessen gab er an, die Einsamkeit und die Männergesellschaft auf den Seehundbänken leid zu sein.
»Ich möchte mal in der Stadt wohnen«, behauptete er. »Vielleicht ’ne Frau finden, ’ne Familie gründen ... einfach keine toten Wale und Seehunde mehr sehen.« Lucas legte das Geld für den Schlafsack und die Kleidung, die er eben gekauft hatte, zum Wechseln auf den Tisch.
Der Händler und Lucas’ neue Freunde lachten lauthals.
»Also, Arbeit wirste leicht finden. Aber ’n Mädchen? Die einzigen Mädels hier sind die in Jolandas Etablissement über dem Pub. Die wären natürlich auch im heiratsfähigen Alter!«
Die Männer fassten das wohl als Witz auf. Jedenfalls konnten sie kaum aufhören zu lachen.
»Kannst sie ja gleich fragen!«, meinte Norman gutmütig. »Du kommst doch mit in den Pub?«
Lucas konnte nicht ablehnen. Eigentlich hätte er seinen kargen Verdienst lieber gespart, aber ein Whiskey wäre nicht übel – ein bisschen Schnaps, der ihn vielleicht die Augen der Seehunde und das verzweifelte Umsichschlagen des Wals vergessen ließ ...
Der Aufkäufer der Felle nannte Lucas andere Verdienstmöglichkeiten in Westport. Vielleicht könne der Schmied einen Gehilfen brauchen. Ob Lucas schon mal mit Eisen gearbeitet habe? Lucas verfluchte sich selbst dafür, auf Kiward Station nie einen Gedanken daran verwendet zu haben, wie James McKenzie die Pferde beschlug. Entsprechende Fähigkeiten hätten sich hier zu Geld machen lassen, doch Lucas hatte Hammer und Nägel nie angerührt. Er konnte ein Pferd reiten – mehr aber auch nicht.
Der Mann deutete Lucas’ Schweigen richtig. »Kein Handwerker, was? Nichts gelernt, außer Seehunden die Köpfe einzuschlagen. Aber der
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