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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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gleich am nächsten Tag dem Stallbesitzer vor, der ihm gern einen Schlafplatz einräumte und nicht einmal Geld dafür wollte.
    »Hilf Dave ein bisschen im Stall, der Junge arbeitet ohnehin zu viel. Kennst dich mit Pferden aus?«
    Lucas erklärte wahrheitsgemäß, die Tiere putzen, satteln und reiten zu können, was dem Stallbesitzer anscheinend genügte. David verbrachte den Sonntag damit, die Ställe ausgiebig zu reinigen – in der Woche kam er nicht immer dazu –, und Lucas half ihm bereitwillig. Dabei plauderte der Junge die ganze Zeit, berichtete von seinen Abenteuern, seinen Wünschen und Träumen, und Lucas war ein williger Zuhörer. Dabei schwang er die Mistgabel mit ungeahntem Elan. Noch nie hatte eine Arbeit ihm so viel Spaß gemacht!
    Am Montag nahm Dave ihn mit zur Arbeit auf dem Bau, und der Meister teilte ihn gleich einer Holzfällerkolonne zu. Für die Neubauten musste Urwald gerodet werden, und die Edelhölzer, die dabei anfielen, wurden entweder gleich in Westport abgelagert und später verbaut, oder in andere Gegenden der Insel, ja sogar nach England verkauft. Der Holzpreis war hoch und stieg weiter; außerdem verkehrten jetzt Dampfer zwischen England und Neuseeland, die den Export auch sperriger Güter vereinfachten.
    Die Zimmerleute von Westport dachten jedoch nicht weiter als bis zum nächsten Hausbau. Praktisch keiner von ihnen hatte sein Handwerk gelernt, geschweige denn, je etwas von Architektur gehört. Sie bauten schlichte Blockhäuser, für die sie ebenso schlichte Möbel zimmerten. Lucas bedauerte diese Verschwendung der edlen Hölzer, zumal die Arbeit im Dschungel hart und gefährlich war; immer wieder kam es zu Verletzungen durch Sägen oder umstürzende Bäume. Doch Lucas beklagte sich nicht. Seit er David kannte, schien er um einiges unbeschwerter und leichter durchs Leben zu gehen und befand sich in ständiger Hochstimmung. Dabei schien auch der Junge seine Gesellschaft zu suchen. Er unterhielt sich stundenlang mit Lucas und fand natürlich bald heraus, dass der Ältere um vieles mehr wusste und auf deutlich mehr Fragen Antwort geben konnte als alle anderen Männer um ihn herum. Oft kostete es Lucas Mühe, bei all dem nicht zu viel über seine Herkunft zu verraten. Inzwischen unterschied er sich zumindest äußerlich kaum noch von den anderen Coastern. Seine Kleidung war abgetragen, zum Wechseln hatte er praktisch nichts. Es war ein Kraftakt, sich trotzdem sauber zu halten. Zu seiner Freude hielt auch David viel auf Körperhygiene und reinigte sich regelmäßig im Fluss. Dabei schien der Junge keine Kälte zu kennen. Während Lucas schon schlotterte, wenn er sich dem eiskalten Wasser nur näherte, schwamm David lachend ans andere Ufer.
    »Das ist doch nicht kalt!«, neckte er Lucas. »Du solltest mal die Flüsse in meiner Heimat sehen! Da bin ich mit unserem Pferd durchgeschwommen, wenn noch Eisschollen darauf trieben!«
    Wenn der Junge dann nackt und nass ans Ufer watete und sich dort unbefangen reckte und streckte, meinte Lucas, seine geliebten griechischen Knabenstatuen lebendig vor sich zu sehen. Für ihn war dies nicht Dickens’ David, es war der David von Michelangelo. Der Junge hatte von dem italienischen Maler und Bildhauer bislang allerdings ebenso wenig gehört wie von dem englischen Schriftsteller. Immerhin konnte Lucas hier helfen. Mit raschen Strichen warf er eine Zeichnung der berühmtesten Skulpturen auf ein Blatt.
    Dave konnte sich vor Staunen kaum halten, wobei ihn allerdings weniger die marmornen Knaben interessierten als Lucas’ Zeichenkunst als solche.
    »Ich versuche immer, Häuser zu zeichnen«, vertraute er dem älteren Freund an. »Aber irgendwie sieht es nicht richtig aus.«
    Lucas ging das Herz auf, während er Dave erklärte, wo das Problem lag, und ihn dann in die Kunst des perspektivischen Zeichnens einführte. David lernte schnell. Von da an verbrachten sie jede freie Minute mit dem Unterricht. Als der Baumeister sie einmal dabei beobachtete, zog er Lucas umgehend vom Holzfällertrupp ab und setzte ihn in der Konstruktion ein. Bislang hatte Lucas nicht viel von Statik und Baukunst gewusst – nur die Grundbegriffe, die jeder wahre Kunstliebhaber zwangsläufig erwirbt, wenn er sich für römische Kirchen und florentinische Paläste interessiert. Das allein aber war schon erheblich mehr, als die meisten Leute am Bau wussten; zudem war Lucas ein begabter Mathematiker. Sehr bald machte er sich nützlich, indem er Bauzeichnungen entwarf und die Anweisungen

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