Im Land Der Weissen Wolke
sich umzusehen – und in diesem Sommer erlaubte ihm sein aufstrebendes Unternehmen in Christchurch zum ersten Mal, ohne unmittelbare geschäftliche Interessen von einer Schaffarm zur anderen zu reisen. Jetzt im Januar, nachdem die Schafschur und die aufreibende Zeit des Ablammens vorüber waren, konnte er es auch wagen, seinen endlosen Problemfall Howard O’Keefe ein paar Wochen sich selbst zu überlassen. George seufzte allein bei dem Gedanken an Helens hoffnungslosen Gatten! Dank seiner Unterstützung, den wertvollen Zuchttieren und intensiver Beratung warf O’Keefes Farm nun endlich etwas Profit ab, aber Howard blieb ein unsicherer Kandidat. Der Mann neigte zum Aufbrausen, zum Trinken, er nahm Ratschläge ungern an und wenn, dann grundsätzlich nur von George selbst, nicht von dessen Untergebenen und schon gar nicht von Reti, Helens ehemaligem Schüler, der sich langsam zu Georges rechter Hand entwickelte. Jedes Gespräch, jede Ermahnung, die Schafe zum Beispiel im April endlich abzutreiben, um bei einem eventuellen plötzlichen Wintereinbruch keine Tiere zu verlieren, erforderten also einen Ritt von Christchurch nach Haldon. Und so gern George und Elizabeth auch mit Helen zusammen waren – mitunter hatte der erfolgreiche junge Geschäftsmann anderes zu tun, als die Angelegenheiten eines kleinen Farmers zu regeln. Dazu ärgerte ihn Howards Halsstarrigkeit und sein Umgang mit Helen und Ruben. Beide zogen sich immer wieder den Zorn ihres Mannes beziehungsweise Vaters zu – paradoxerweise deshalb, weil Helen sich Howards Ansicht nach zu viel, Ruben zu wenig um die Belange der Farm kümmerte. Helen hatte längst begriffen, dass Georges Hilfe das Einzige war, das ihre wirtschaftliche Existenz nicht nur retten, sondern ihre Lebensumstände obendrein drastisch verbessern konnte, und sie war im Gegensatz zu ihrem Gatten durchaus in der Lage, Georges Ratschläge und ihre Beweggründe zu verstehen. Immer drängte sie Howard, sie umzusetzen, was diesen umgehend aufbrausen ließ. Es belastete das Verhältnis, wenn George sie dann in Schutz nahm, und auch die offensichtliche Begeisterung des kleinen Ruben für »Onkel George« war O’Keefe ein Dorn im Auge. Greenwood versorgte den Jungen freigebig mit den Büchern, die er sich wünschte, und schenkte ihm Vergrößerungsgläser und Botanisiertrommeln, um seine wissenschaftlichen Interessen zu fördern. Howard dagegen hielt das für Unsinn – Ruben sollte die Farm übernehmen, und dazu reichten Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen. Ruben allerdings interessierte sich überhaupt nicht für die Farmarbeit, und auch nur begrenzt für Flora und Fauna. Seine diesbezüglichen »Forschungen« waren eher von seiner kleinen Freundin Fleur initiiert. Ruben teilte mehr die geisteswissenschaftliche Begabung seiner Mutter. Er las schon jetzt die Klassiker in den Originalsprachen, und sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl mochte ihn für eine Laufbahn als Geistlicher oder auch für ein Jurastudium
prädestinieren. Als Farmer sah George ihn nicht – ein massiver Konflikt zwischen Vater und Sohn schien vorprogrammiert. Greenwood befürchtete, dass auch seine eigene Zusammenarbeit mit O’Keefe auf Dauer scheitern würde – und mochte an die Folgen für Helen und Ruben kaum denken. Aber damit konnte er sich später beschäftigen. Sein aktueller Ausflug an die Westcoast war eine Art Urlaub für ihn; er wollte die Südinsel endlich näher kennen lernen und neue Märkte entdecken. Außerdem motivierte ihn eine weitere Vater-Sohn-Tragödie: George war – auch wenn er das niemandem verraten hatte – auf der Suche nach Lucas Warden.
Inzwischen war es über ein Jahr her, dass der Erbe von Kiward Station verschwunden war, und das Gerede in Haldon hatte sich weitgehend gelegt. Die Gerüchte um Gwyneiras Kind waren verstummt; man nahm allgemein an, dass ihr Gatte in London weilte. Da die Leute im Ort Lucas Warden ohnehin kaum zu Gesicht bekommen hatten, vermissten sie ihn nicht. Außerdem war der örtliche Bankier nicht der diskreteste, und so kamen immer wieder Nachrichten von Lucas’ immensen finanziellen Erfolgen im Mutterland in Umlauf. Die Leute in Haldon nahmen selbstverständlich an, Lucas verdiene dieses Geld unmittelbar mit dem Malen neuer Bilder. Tatsächlich aber verkauften die Galerien in der Hauptstadt nur die längst vorhandenen Bestände. Auf Georges Bitten hin hatte Gwyneira inzwischen schon die dritte Auswahl an Aquarellen und Ölgemälden nach London
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