Im Land Der Weissen Wolke
die Menschen in seiner Umgebung – allen voran Gwyneira – nicht gänzlich Unrecht gehabt hatten. Seine Interessen hatten brotlosen Künsten gegolten; ohne das Geld, das sein Vater aus Kiward Station erwirtschaftete, war er ein Nichts, und seine Chancen, die Farm selbst einmal erfolgreich zu managen, waren stets gering gewesen. Gerald hatte Recht gehabt: Lucas hatte auf ganzer Linie versagt.
Während Lucas düsteren Gedanken nachhing, wurde David in seinem Rücken munter.
»He, ich glaube, ich hab geschlafen!«, meldete er sich mit fröhlicher Stimme. »Oh, Mann, Luke, was für ein Anblick! Ist das Buller Gorge?«
Unterhalb des Saumpfads brach sich der Fluss zwischen Felswänden seine Bahn. Der Ausblick über das Flusstal und die Berge ringsum war atemberaubend.
»Ich nehm’s an«, sagte Lucas. »Aber wer immer hier Gold gefunden hat – Hinweisschilder hat er nicht aufgestellt.«
»Dann wär’s ja auch zu einfach!«, sagte David vergnügt. »Und bestimmt wäre schon alles weg, so viel Zeit, wie wir uns gelassen haben! Du, ich hab Hunger! Wollen wir mal rasten?«
Lucas zuckte die Schultern. Doch der augenblickliche Weg erschien ihm nicht ideal für eine Pause; er war felsig, und es gab kein Gras für das Pferd. So einigten die beiden sich darauf, noch eine halbe Stunde weiterzureiten und einen besseren Platz zu suchen.
»Hier sieht’s auch nicht nach Gold aus«, meinte David. »Und wenn wir schon anhalten, will ich mich auch umsehen.«
Die Geduld der beiden wurde bald belohnt. Kurze Zeit später erreichten sie ein Hochplateau, auf dem nicht nur die allgegenwärtigen Farne wuchsen, sondern auch sattes Gras für das Pferd. Der Buller zog tief unter ihnen seine Bahn, doch direkt unter ihrem Lagerplatz befand sich einer der kleinen Strände. Goldgelber Sand.
»Ob wohl mal jemand auf den Gedanken gekommen ist, den zu waschen?« David biss in ein Brot und entwickelte dabei die gleiche Idee wie Lucas vorhin. »Kann doch gut sein, dass er voller Nuggets ist!«
»Wäre das nicht wieder zu einfach?« Lucas lächelte. Der Eifer des Jungen erheiterte ihn. Aber David mochte den Einfall nicht gleich fallen lassen.
»Eben! Deshalb hat es ja noch keiner getan! Wetten, dass die Stielaugen kriegen, wenn wir da jetzt ganz locker ein paar Nuggets raussieben?«
Lucas lachte. »Versuch es an einem Strand, an den leichter heranzukommen ist. Hier müsstest du fliegen können, um runterzukommen.«
»Auch wieder ein Grund, weshalb es noch keiner versucht hat! Hier, Luke, liegt unser Gold! Ich bin ganz sicher! Ich klettere runter!«
Lucas schüttelte besorgt den Kopf. Der Junge schien sich in seine Idee zu verrennen. »Davey, die Hälfte aller Goldsucher ist auf dem Fluss unterwegs. Die sind hier schon durchgekommen und haben wahrscheinlich am Strand dort gerastet, wie wir hier oben. Da ist kein Gold, glaub mir!«
»Woher willst du das denn wissen!« David sprang auf. »Ich glaube jedenfalls an mein Glück! Ich klettere runter und sehe nach!«
Der Junge suchte nach einem guten Ausgangspunkt für die Klettertour, während Lucas entsetzt in den Abgrund blickte.
»David, das sind mindestens fünfzig Yards! Und es geht steil in die Tiefe! Du kannst da nicht runtersteigen!«
»Aber sicher kann ich!« Der Junge verschwand bereits über den Rand der Klippe.
»Dave!« Lucas hatte das Gefühl, seine Stimme klänge wie ein Kreischen. »Dave, warte! Lass mich dich wenigstens anseilen!«
Lucas hatte keine Ahnung, ob die Seile, die sie eingesteckt hatten, lang genug waren, doch er suchte panisch in den Satteltaschen.
David aber wartete gar nicht. Er schien keine Gefahr zu sehen; das Klettern machte ihm Spaß, und er war offensichtlich schwindelfrei. Allerdings war er kein erfahrener Bergsteiger und konnte nicht erkennen, ob ein Felsvorsprung fest war oder abbruchgefährdet, und er rechnete nicht ein, dass die Erde auf dem scheinbar sicheren Vorsprung, auf dem sogar etwas Gras wuchs und den er sorglos mit seinem ganzen Gewicht belastete, noch regennass und schlüpfrig war.
Lucas hörte den Schrei, noch bevor er alle Seile zusammengerafft hatte. Sein erster Impuls war, zur Klippe zu rennen, aber dann wurde ihm klar, dass David tot sein musste. Niemand konnte einen Sturz aus dieser Höhe überleben. Lucas begann zu zittern und lehnte die Stirn sekundenlang gegen die Packtaschen, die immer noch auf dem geduldigen Pferd lagen. Er wusste nicht, ob er den Mut aufbringen würde, auf den zerschmetterten Körper des Geliebten
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