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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Grunde dankte auch sie dem Himmel, dass Ruben die Canterbury Plains erst einmal verlassen hatte. Wohin, hatte Fleur ihr nicht erzählt, aber sie konnte es sich denken. Was zu Lucas’ Zeiten Walfang und Seehundjagd gewesen war, hatte sich jetzt zum Goldrausch gewandelt. Wer schnell Vermögen machen und sich als Mann beweisen wollte, strebte nach Otago. Rubens Eignung zum Miner schätzte sie allerdings ähnlich pessimistisch ein wie Fleurette.
    »Sie war alt genug, sich diesem Bastard im Busch hinzugeben. Da kann sie auch mit einem ehrenwerten Mann das Bett teilen. Wie alt ist sie? Sechzehn? Im nächsten Jahr ist sie siebzehn. Dann kann sie sich verloben. Ich kann mich gut an ein Mädchen erinnern, das mit siebzehn nach Neuseeland kam ...«
    Gerald fixierte Gwyneira, die dabei blass wurde und ein Gefühl in sich aufsteigen spürte, das fast an Panik grenzte. Als sie siebzehn war, hatte Gerald sich in sie verliebt – und sie für seinen Sohn nach Übersee geholt. Fing der alte Mann jetzt womöglich an, auch Fleur mit anderen Augen zu sehen? Gwyneira hatte sich bisher nie viel dabei gedacht, dass das Mädchen ihr täuschend ähnlich sah. Wenn man davon absah, dass Fleurette noch graziler war als ihre Mutter, ihr Haar etwas dunkler und die Augenfarbe eine andere, hätte man Fleur und die junge Gwyneira verwechseln können ... Hatte Pauls dumme Petzerei das jetzt womöglich auch Gerald vor Augen geführt?
    Fleurette schluchzte und wollte tapfer erwidern, dass sie niemals und unter keinen Umständen einen anderen Mann heiraten würde als Ruben O’Keefe, aber Gwyneira nahm sich zusammen und gebot ihr mit einem Kopfschütteln und einer Handbewegung zu schweigen. Es brachte nichts, sich zu streiten. Zumal das Auffinden eines »halbwegs passenden« jungen Mannes nicht einfach werden dürfte. Die Wardens gehörten zu den ältesten und angesehensten Familien der Südinsel; nur wenige andere waren ihnen gesellschaftlich und finanziell ebenbürtig. Deren Söhne ließen sich an zwei Händen abzählen – und sie waren sämtlich entweder bereits verlobt, verheiratet oder viel zu jung für Fleurette. Der Sohn des jungen Lord Barrington zum Beispiel war gerade mal zehn, und George Greenwoods Ältester sogar erst fünf Jahre alt. Wenn Geralds Wut erst verraucht war, würde auch ihm das klar werden. Die Gefahr im eigenen Hause erschien Gwyn da viel realer, aber wahrscheinlich sah sie auch hier Gespenster. Gerald hatte sie in all den Jahren nur einmal angerührt, volltrunken und im Affekt, und er schien es bis heute zu bereuen. Also gab es keinen Grund, die Pferde scheu zu machen.
    Gwyneira zwang sich zur Ruhe und mahnte auch Fleurette zur Gelassenheit. Wahrscheinlich würde die leidige Angelegenheit in einigen Wochen vergessen sein.
    Doch hier täuschte sie sich. Zwar geschah vorerst nichts, aber acht Wochen nach Rubens Abritt machte Gerald sich auf den Weg zu einem Viehzüchtertreffen in Christchurch. Offizielle Begründung für dieses »Festessen mit anschließendem Besäufnis«, wie Gwyneira es nannte, waren die stetig zunehmenden Viehdiebstähle in den Canterbury Plains. In den letzten Monaten waren um die tausend Schafe allein in ihrer Region verschwunden, und nach wie vor war der Name McKenzie im Gespräch.
    »Weiß der Himmel, wohin er mit den Viechern verschwindet!«, polterte Gerald. »Aber er steckt bestimmt dahinter! Der Kerl kennt das Hochland wie seine Westentasche. Wir werden noch mehr Patrouillen ausschicken, eine regelrechte Miliz werden wir aufstellen!«
    Gwyneira zuckte die Schultern und hoffte, dass niemand ihr anmerkte, wie heftig ihr Herz noch heute schlug, wenn sie an James McKenzie dachte. Im Stillen lächelte sie über seine Husarenstückchen und darüber, was er wohl zu ein paar weiteren Patrouillen in den Bergen sagen würde. Bislang waren nur Teile des Voralpenlandes erschlossen; die Region war riesig und mochte noch ganze Täler und Weidegründe verbergen. Die Tiere hier zu bewachen war gänzlich unmöglich, obwohl die Viehzüchter zumindest der Form halber Viehhüter ins Hochland schickten. Die verbrachten dann das halbe Jahr in primitiven, speziell dafür erstellten Blockhütten, meist zu zweit, um nicht völlig zu vereinsamen. Dabei vertrieben sie sich die Zeit mit Kartenspielen, Jagen und Fischen, weitgehend unkontrolliert von ihren Arbeitgebern. Die Zuverlässigeren von ihnen hielten die Schafe dabei im Auge, andere sahen sie so gut wie nie. Ein Mann und ein guter Hütehund konnten jeden Tag Dutzende

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