Im Land Der Weissen Wolke
Trommeln aus jener verhängnisvollen Nacht. Maramas Balladen, mit süßer Stimme vorgetragen, mochte sie, und erstaunlicherweise schien auch Paul ihnen gern zu lauschen. Heute aber musste er sich vor seiner Freundin brüsten, indem er von seinem gestrigen Ausflug mit Gerald berichtete. Die beiden hatten Weiden auf dem Weg in die Berge kontrolliert, wobei ihnen der Maori-Junge Wiramu begegnet war. Wiramu brachte die Beute eines überaus erfolgreichen Angelausflugs zu seinem Stamm in Kiward Station. Das war an sich kein Grund, ihn zu bestrafen, aber der Junge gehörte zu einer der Viehhüter-Patrouillen, die Gerald vor kurzem eingesetzt hatte, um den Aktivitäten von James McKenzie ein Ende zu setzen. Deshalb hätte Wiramu im Hochland sein müssen, nicht bei seiner Mutter im Dorf. Gerald hatte einen Wutanfall bekommen und den Jungen zusammengestaucht. Anschließend ließ er Paul das Strafmaß bestimmen. Paul entschied sich, Wiramu fristlos zu entlassen.
»Großvater bezahlt ihn nicht dafür, dass er angelt!«, erklärte Paul gewichtig. »Er muss an seinem Platz bleiben!«
Marama schüttelte den Kopf. »Aber ich denke, die Patrouillen ziehen sowieso herum. Da ist es doch eigentlich egal, wo Wiramu gerade ist. Und die Männer fischen auch alle. Sie müssen fischen und jagen. Oder gebt ihr ihnen Proviant mit?«
»Es ist eben nicht egal!«, trumpfte Paul auf. »McKenzie stiehlt die Schafe nicht hier neben dem Haus, sondern oben im Hochland. Da müssen die Männer patrouillieren. Und für ihren eigenen Bedarf dürfen sie auch fischen und jagen. Aber nicht für das ganze Dorf.« Der Junge war felsenfest davon überzeugt, im Recht zu sein.
»Tun sie auch gar nicht!« Marama ließ nicht locker. Sie versuchte verzweifelt, Paul den Standpunkt ihrer Leute klar zu machen; sie konnte gar nicht begreifen, weshalb das überhaupt so schwierig war. Paul war praktisch bei den Maoris aufgewachsen. War es denn möglich, dass er dort nichts gelernt hatte außer der Technik der Fischer und Jäger? »Aber sie haben den Fluss und das Land darum herum neu entdeckt. Da hatte noch nie jemand gefischt, ihre Reusen waren voll. Das alles konnten sie nicht gleich essen und den Fisch auch nicht trocknen – schließlich sollen sie patrouillieren. Wäre nicht einer ins Dorf gelaufen, wäre der Fisch verdorben. Und das ist eine Schande, Paul, das weißt du doch! Man lässt keine Nahrung verderben, das mögen die Götter nicht!«
Wiramu war von der hauptsächlich aus Maoris bestehenden Gruppe bestimmt worden, die Fische ins Dorf zu bringen und den Ältesten von dem enormen Fischreichtum des neu entdeckten Gewässers zu berichten. Auch das Land in der Umgegend sollte fruchtbar und für hiesige Verhältnisse reich an jagdbarem Wild sein. Es war gut möglich, dass der Stamm bald aufbräche, um dort eine Zeit lang mit Fischen und Jagen zu verbringen. Für Kiward Station wäre das eine positive Entwicklung. In der Umgebung des Lagers würde niemand Vieh stehlen, wenn die Maoris ein Auge darauf hielten. So weit aber hatten weder Gerald noch sein Enkel denken können oder wollen. Stattdessen hatten sie die Maoris verärgert. Bestimmt würden Wiramus Leute in den Bergen jeden Viehdieb übersehen, und auch die Arbeit der Patrouille würde sich in Zukunft eher lasch gestalten.
»Tongas Vater sagt, er wird das neue Land für sich und seinen Stamm beanspruchen«, erklärte Marama obendrein. »Wiramu wird ihn hinführen. Wenn Mr. Gerald stattdessen nett zu ihm gewesen wäre, hätte er es euch gezeigt, und ihr hättet es vermessen lassen können!«
»Wir finden das auch so!«, trumpfte Paul auf. »Da brauchen wir nicht zu irgendwelchen hergelaufenen Bastarden nett zu sein.«
Marama schüttelte den Kopf, verzichtete aber darauf, den Jungen darauf hinzuweisen, dass Wiramu keineswegs ein Bastard war, sondern der geachtete Neffe des Häuptlings. »Tonga sagt, die Kai Tahu melden den Landbesitz in Christchurch an«, führte sie aus. »Er kann genauso gut lesen und schreiben wie du, und Reti hilft ihnen auch. Es war dumm, Wiramu zu entlassen, Paul. Es war einfach nur dumm!«
Paul stand zornig auf und warf dabei den Besteckkasten mit dem Silber um, das Marama schon geputzt hatte. Er tat es bestimmt mit Absicht, denn üblicherweise bewegte er sich mit mehr Geschick. »Du bist ein Mädchen und nur eine Maori. Wie kannst du wissen, was dumm ist?«
Marama lachte und sammelte das Silber gelassen wieder auf. Sie nahm nicht allzu schnell etwas übel. »Du wirst ja sehen,
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