Im Land Der Weissen Wolke
vorsichtig vorfühlte. Gwyn konnte es ihr nicht verdenken. Schon die ersten Blicke des jungen Lords auf die hübsche Fleurette überzeugten sie davon, dass ihre Tochter hier vom Regen in die Traufe käme.
Elizabeth Greenwood allerdings hätte Fleur gern aufgenommen. George Greenwoods Zuneigung zu ihr und seine Treue waren über jeden Zweifel erhaben. Er war auch für Fleur ein geachteter »Onkel«, und in seinem Haushalt hätte sie obendrein mehr über Buchführung und Unternehmensverwaltung lernen können. Allerdings waren die Greenwoods im Aufbruch zu einem Besuch in England. Georges Eltern wollten ihre Enkelkinder endlich kennen lernen, und Elizabeth konnte vor Aufregung kaum an sich halten.
»Ich hoffe bloß, dass seine Mutter mich nicht wiedererkennt«, vertraute sie Gwyneira ihre Ängste an. »Sie denkt doch, ich käme aus Schweden. Wenn sie jetzt feststellt, dass ...«
Gwyneira schüttelte lächelnd den Kopf. Es war völlig unmöglich, in der schönen, gepflegten jungen Frau von heute, deren tadellose Manieren sie zu einer Stütze der Christchurcher Gesellschaft gemacht hatten, das halb verhungerte, schüchterne Waisenmädchen wiederzuerkennen, das vor fast zwanzig Jahren London verlassen hatte.
»Sie wird dich lieben«, versicherte sie der Jüngeren. »Und mach bloß keinen Unsinn und versuch, dir einen schwedischen Akzent zuzulegen oder so was. Du sagst, du bist in Christchurch aufgewachsen, und das stimmt ja auch. Also sprichst du Englisch, und fertig!«
»Aber sie hören doch, dass ich Cockney spreche«, sorgte sich Elizabeth.
Gwyn lachte. »Elizabeth, verglichen mit dir sprechen wir alle ein schreckliches Englisch – außer natürlich Helen, von der hast du’s ja übernommen. Also reg dich nicht auf.«
Elizabeth nickte unsicher. »Na ja, George sagt sowieso, ich würde nicht allzu viel reden müssen. Seine Mutter führt Gespräche am liebsten ganz allein ...«
Gwyneira lachte wieder. Begegnungen mit Elizabeth waren immer erfrischend. Sie war viel intelligenter als die brave, aber etwas langweilige Dorothy in Haldon und die niedliche Rosemary, die inzwischen mit dem Bäckergesellen ihres Ziehvaters verlobt war. Wieder einmal fragte sie sich, was aus den anderen drei Mädchen geworden war, die auf der Dublin mit ihnen gereist waren. Helen hatte inzwischen Nachricht aus Westport erhalten. Eine Mistress Jolanda erklärte verärgert, Daphne sei zusammen mit den Zwillingen – und den Einnahmen eines ganzen Wochenendes – spurlos verschwunden. Die Dame hatte die Frechheit, das Geld von Helen zurückzufordern. Helen ließ ihren Brief unbeantwortet.
Schließlich verabschiedete Gwyn sich herzlich von Elizabeth – nicht ohne ihr die übliche Einkaufsliste mitzugeben, die jede Frau auf Neuseeland einer Freundin in die Hand drückte, die ins Mutterland reiste. Natürlich konnte man über Georges Firma praktisch alles bestellen, was es in London zu kaufen gab, aber ein paar intime Wünsche vertrauten die Frauen seinen Lieferlisten doch ungern an. Elizabeth versprach, die Londoner Kaufhäuser in Gwyns Auftrag leer zu räumen, und Gwyneira schied in bestem Einvernehmen – allerdings ohne eine Lösung für Fleurette.
Im Laufe der nächsten Monate entspannte sich allerdings auch die Lage auf Kiward Station. Gerald war nach seinem Angriff auf Fleur deutlich ernüchtert. Er ging seiner Enkelin aus dem Weg – und Gwyneira sorgte dafür, dass Fleurette es genauso hielt. Was Paul anging, so verstärkte der alte Mann seine Bemühungen, ihn in die Farmarbeit einzuführen. Die beiden verschwanden oft schon früh am Morgen irgendwo auf den Viehweiden, um erst gegen Abend wieder aufzutauchen. Im Anschluss daran trank Gerald zwar seinen abendlichen Whiskey, erreichte aber nie ein Stadium der Trunkenheit wie bei seinen früheren, ganztägigen Sauforgien. Den Berichten seines Großvaters zufolge schlug Paul auch gut ein, während Kiri und Marama eher Besorgnis äußerten. Gwyneira belauschte ein Gespräch zwischen ihrem Sohn und dem Maori-Mädchen, das sie ziemlich beunruhigte.
»Wiramu ist kein schlechter Kerl, Paul! Er ist fleißig, ein guter Jäger und ein guter Schafhirte. Es ist ungerecht, ihn zu entlassen!«
Marama putzte im Garten Silber. Im Gegensatz zu ihrer Mutter tat sie das gern; sie liebte das glänzende Metall. Manchmal sang sie dabei, aber das mochte Gerald nicht hören, denn er konnte die Musik der Maoris nicht leiden. Gwyn erging es in gewisser Weise ähnlich, aber sie erinnerte sich nur an das
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