Im Land Der Weissen Wolke
ja?«, zischte Gerald seiner Enkelin zu. »Noch unberührt von Zaum und Zügel? Na, das ändern wir jetzt. Du wirst schon lernen, dich deinem Reiter zu fügen ...«
Gwyneira riss ihn von ihr weg. In ihrer Wut und der Angst um ihre Tochter entwickelte sie Riesenkräfte. Zu genau erkannte sie das Funkeln in Geralds Augen wieder, das sie seit Pauls Zeugung in ihren schlimmsten Träumen verfolgte.
»Wie kannst du es wagen, sie anzufassen!«, fuhr sie ihn an. »Lass sie sofort in Ruhe!«
Gerald zitterte. »Schaff sie mir aus den Augen!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Sie hat Hausarrest. So lange, bis sie sich die Sache mit Beasley überlegt hat. Sie ist ihm versprochen! Ich werde mein Wort nicht brechen!«
Reginald Beasley hatte oben in seinen Räumen gewartet, aber vollständig war ihm die Szene natürlich nicht entgangen. Peinlich berührt trat er vor die Tür und traf Gwyneira und ihre Tochter auf der Treppe an.
»Miss Gwyn ... Miss Fleur ... bitte verzeihen Sie mir!«
Beasley war heute nüchtern, und ein Blick in Fleurettes junges, verstörtes Gesicht und die zornglühenden Augen ihrer Mutter sagten ihm, dass er keine Chancen hatte.
»Ich ... ich konnte nicht ahnen, dass es für Sie eine solche ... äh, Zumutung bedeuten würde, meine Werbung anzunehmen. Schauen Sie, ich bin nicht mehr jung, aber so alt nun auch wieder nicht, und ich ... ich würde Sie sehr in Ehren halten ...«
Gwyneira funkelte ihn an. »Mr. Beasley, meine Tochter will nicht in Ehren gehalten, sondern erst einmal erwachsen werden. Und dann wünscht sie sich wahrscheinlich einen Mann in ihrem Alter – und zumindest einen Mann, der sich ihr selbst erklärt und keinen anderen alten Bock vorschickt, um sie in sein Bett zu zwingen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Eigentlich hatte sie ja höflich bleiben wollen, aber der Anblick von Geralds Gesicht über Fleurette im Sessel hatte sie zutiefst erschrocken. Diesen alten Freier hier musste sie als Erstes loswerden. Aber das dürfte nicht schwierig sein. Und dann musste ihr irgendetwas zu der Sache mit Gerald einfallen. Sie selbst hatte damals nicht gemerkt, auf welchem Pulverfass sie lebte. Aber Fleurette musste sie schützen!
»Miss Gwyn, ich ... wie gesagt, Miss Fleur, es tut mir Leid. Und unter diesen Umständen wäre ich durchaus bereit ... äh, von der Verlobung zurückzutreten.«
»Ich bin nicht mit Ihnen verlobt!«, sagte Fleur mit zittriger Stimme. »Das kann ich gar nicht, ich ...«
Gwyneira zog das Mädchen weiter. »Diese Entscheidung freut mich und ehrt Sie«, beschied sie Reginald Beasley mit gezwungenem Lächeln. »Vielleicht teilen Sie es dann auch meinem Schwiegervater mit, damit diese leidige Angelegenheit aus der Welt geschafft wird. Ich habe Sie immer geschätzt und würde Sie als Freund des Hauses ungern verlieren.«
Hoheitsvoll schritt sie an Beasley vorbei. Fleurette stolperte neben ihr her. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch Gwyneira erlaubte ihr nicht, stehen zu bleiben.
»Erzähl ihm bloß nichts von Ruben, sonst fühlt er sich noch in seiner Ehre gekränkt«, zischte sie ihrer Tochter zu. »Du bleibst jetzt in deinem Zimmer – am besten, bis er weg ist. Komm um Himmels willen nicht heraus, solange dein Großvater betrunken ist!«
Gwyneira schloss zitternd die Tür hinter ihrer Tochter. Das hier war erst einmal abgewendet. Heute Abend würde Gerald mit Beasley trinken; da waren keine weiteren Ausbrüche zu befürchten. Und morgen würde er sich wegen der heutigen Attacke zu Tode schämen. Aber was kam dann? Wie lange würden Geralds Selbstvorwürfe ausreichen, ihn von seiner Enkelin fern zu halten? Und genügte die Sicherheit einer Zimmertür, um ihn aufzuhalten, wenn er zu betrunken war und sich womöglich einredete, er müsste das Mädchen für ihren künftigen Gatten »zureiten«?
Gwyns Entschluss war gefasst. Sie musste ihre Tochter wegschicken.
4
Diesen Entschluss in die Tat umzusetzen, erwies sich jedoch als schwierig. Weder fand sich ein Vorwand, das Mädchen wegzuschicken, noch eine passende Familie, die sie aufnehmen konnte. Gwyn hatte an einen Haushalt mit Kindern gedacht – nach wie vor mangelte es in Christchurch an Erzieherinnen, und eine so hübsche und gebildete Haustochter wie Fleur sollte in jeder jungen Familie willkommen sein. In der Praxis kamen dafür allerdings nur die Barringtons und die Greenwoods in Frage – und Antonia Barrington, eine eher unscheinbare junge Frau, lehnte das Ansinnen sofort ab, als Gwyn
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