Im Land Der Weissen Wolke
und schoss noch die Harpune ab, bevor der Kahn kenterte. Hat den Wal erledigt, Johnny Sideblossom! Mit zehn Jahren! Seinen Alten hatte es erwischt, aber davon ließ er sich nicht schrecken. Wurde zum gefürchtetsten Harpunier der Westcoast. Aber kaum hört er von den Goldfunden bei Westport, ist er da hin. Den Buller River rauf und runter, und immer erfolgreich. Schließlich hat er oben am Lake Pukaki Land gekauft. Und bestes Vieh, zum Teil sogar von mir. Wenn ich’s recht bedenke, hat der Schurke von McKenzie da ’ne Herde von mir hochgetrieben. Muss bald zwanzig Jahre her sein ...«
Siebzehn, dachte Gwyneira. Sie erinnerte sich daran, dass James sich hauptsächlich deshalb um diesen Auftrag gerissen hatte, um ihr aus dem Weg zu gehen. Ob er die Exkursion damals schon ausgeweitet und sein Traumland gefunden hatte?
»Ich werde ihm schreiben, dass wir das Treffen hier machen können! Ja, das ist eine gute Idee! Ein paar andere lad ich noch dazu ein, und dann machen wir endlich Nägel mit Köpfen! Wir kriegen den Kerl, keine Sorge. Wenn Johnny was anfängt, wird’s richtig!« Gerald hätte am liebsten gleich zu Feder und Tinte gegriffen, aber jetzt trug Kiri das Essen auf. Nichtsdestotrotz nahm er sein Ansinnen gleich am nächsten Tag in Angriff, und Gwyn seufzte bei dem Gedanken an das Gelage und Besäufnis, das der großen Strafexpedition vorausgehen würde. Dennoch war sie gespannt auf Johnny Sideblossom. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten stimmte, mit denen Gerald die Tischrunde beim Essen unterhielt, musste Sideblossom ein Teufelskerl sein – und womöglich ein gefährlicher Gegner für James McKenzie.
Fast alle Viehzüchter der Gegend nahmen Geralds Einladung an, und diesmal schien es wirklich nicht nur um das Feiern zu gehen. James McKenzie hatte es deutlich zu weit getrieben. Und John Sideblossom schien tatsächlich die Fähigkeiten zu haben, die Männer zu führen. Gwyneira fand ihn durchaus imponierend. Er ritt einen kräftigen schwarzen Hengst – sehr repräsentativ, aber auch wohlerzogen und leicht zu handhaben. Wahrscheinlich überprüfte er auf diesem Pferd auch seine Weiden und beaufsichtigte den Viehtrieb. Dazu war er groß; er überragte selbst die kräftigsten Männer unter den Schaf-Baronen um fast einen Kopf. Sein Körper war fest und muskulös, sein Gesicht braun gebrannt und gut geschnitten, das dunkle Haar dicht und lockig. Er trug es halb lang, was seinen rauen Typ noch hervorhob. Dabei war er von sprühender, einnehmender Persönlichkeit. Er beherrschte das Gespräch der Männer sofort, schlug alten Freunden auf die Schultern, lachte dröhnend mit Gerald und schien Whiskey konsumieren zu können als wäre es Wasser, ohne dass man es ihm anmerkte. Zu Gwyneira und den wenigen anderen Frauen, die ihre Männer zu dem Treffen begleitet hatten, war er ausgesucht höflich. Trotzdem mochte Gwyn ihn nicht, ohne dass sie einen Grund dafür hätte nennen können. Doch sie verspürte schon auf den ersten Blick einen gewissen Widerwillen. Lag es daran, dass seine Lippen schmal und hart waren und ein Lächeln zeigten, das sich nicht in seinen Augen spiegelte? Oder waren es diese Augen selbst – so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten, kalt wie die Nacht und abschätzend? Gwyneira bemerkte, dass seine Blicke eindeutig zu abschätzend auf ihr ruhten – weniger auf ihrem Gesicht als auf ihrer immer noch schlanken Figur und den weiblichen Formen. Als junges Mädchen wäre sie dabei rot geworden, aber jetzt gab sie den Blick selbstsicher zurück. Sie war die Herrin hier, er der Besucher, und sie war an keinerlei Kontakt interessiert, der darüber hinausging. Am liebsten hätte sie auch Fleurette von Geralds altem Freund und Saufkumpan fern gehalten, aber das war natürlich nicht möglich, denn das Mädchen wurde zum abendlichen Bankett erwartet. Doch Gwyn verwarf den Gedanken, ihre Tochter zu warnen: Fleur würde dann alles daran setzen, unattraktiv auszusehen – und damit wahrscheinlich erneut Geralds Zorn erwecken. So beobachtete Gwyn nur argwöhnisch ihren unheimlichen Besucher, als Fleur die Treppe herunterkam – so strahlend und hübsch zurechtgemacht wie Gwyneira an ihrem ersten Abend auf Kiward Station. Das Mädchen trug ein cremefarbenes schlichtes Kleid, das die leichte Bräune ihrer ansonsten hellen Haut hervorhob. An den Ärmeln, im Ausschnitt und in der Taille war es mit Applikationen in goldfarbener und brauner Lochstickerei besetzt, passend zu Fleurettes ungewöhnlicher,
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