Im Land Der Weissen Wolke
wirklich verlassen, oder war die Idee mit der Auswanderung doch nur eine Ausgeburt Ihrer Fantasie? Wenn Sie jetzt Ja sagen, reisen Sie am 18. Juli mit der Dublin von London nach Christchurch. Wenn nicht ... nun, dann hat dieses Gespräch nie stattgefunden.«
Helen holte tief Luft.
»Ja«, sagte sie.
4
Gwyneira reagierte nicht halb so entsetzt auf Gerald Wardens ungewöhnliche Brautwerbung, wie ihr Vater befürchtet hatte. Nachdem ihre Mutter und ihre Schwester allein auf eine Andeutung hin, das Mädchen nach Neuseeland zu verheiraten, mit hysterischen Anfällen reagiert hatten – wobei sie sich nicht ganz schlüssig schienen, ob die Mesalliance mit dem bürgerlichen Lucas Warden oder die Verbannung in die Wildnis das schlimmere Schicksal wären –, hatte Lord Silkham auch bei Gwyneira mit Tränen und Jammern gerechnet. Das Mädchen schien allerdings eher belustigt, als Lord Terence ihr die Sache mit dem verhängnisvollen Kartenspiel gestand.
»Du musst natürlich nicht gehen!«, schwächte er denn auch gleich ab. »So etwas ist ja gegen alle guten Sitten. Aber ich habe Mr. Warden versprochen, sein Angebot wenigstens in Erwägung zu ziehen ...«
»Na, na, Vater!«, tadelte Gwyneira und drohte ihm lachend mit dem Finger. »Spielschulden sind Ehrenschulden! Da kommst du nicht so einfach raus. Zumindest müsstest du ihm meinen Gegenwert in Gold anbieten – oder noch ein paar Schafe. Die nimmt er vielleicht sogar lieber. Versuch es doch mal!«
»Gwyneira, du musst das Ganze schon ernst nehmen!«, mahnte ihr Vater. »Es versteht sich wohl von selbst, dass ich bereits versucht habe, dem Mann die Sache auszureden ...«
»Ja?«, fragte Gwyneira neugierig. »Wie viel hast du geboten?«
Lord Terence knirschte mit den Zähnen. Das war eine hässliche Angewohnheit, er wusste es, doch Gwyneira trieb ihn immer wieder zur Verzweiflung.
»Ich habe natürlich gar nichts geboten. Ich habe an Wardens Verständnis und Ehrgefühl appelliert. Aber diese Eigenschaften scheinen bei ihm nicht allzu stark ausgeprägt zu sein ...« Silkham wand sich sichtlich.
»Also willst du mich ohne jeden Skrupel mit dem Sohn eines Gauners verheiraten!«, stellte Gwyneira erheitert fest. »Aber mal ernsthaft, Vater: Was soll ich deiner Meinung nach tun? Den Antrag ablehnen? Oder widerstrebend annehmen? Soll ich würdevoll tun oder demütig? Weinen oder schreien? Vielleicht könnte ich flüchten! Das wäre überhaupt die ehrenhafteste Lösung. Wenn ich bei Nacht und Nebel verschwinde, bist du aus der Sache raus!« Gwyneiras Augen blitzten bei dem Gedanken an so ein Abenteuer. Noch lieber als allein wegzulaufen hätte sie sich allerdings entführen lassen ...
Silkham ballte die Fäuste. »Gwyneira, ich weiß es doch auch nicht! Natürlich wäre es mir peinlich, wenn du ablehntest. Aber es ist mir genauso peinlich, wenn du dich nun verpflichtet fühlst. Und ich würde mir nie verzeihen, wenn du dort drüben unglücklich würdest. Deshalb bitte ich dich ... na ja, vielleicht kannst du den Antrag ... wie soll ich sagen, wohlwollend prüfen?«
Gwyneira zuckte die Schultern. »Na gut. Dann prüfen wir mal. Aber dazu müssen wir meinen möglichen Schwiegervater wohl herholen, nicht wahr? Und Mutter vielleicht auch ... oder nein, das halten ihre Nerven nicht aus. Mutter bringen wir es hinterher bei. Also, wo ist Mr. Warden?«
Gerald Warden hatte in einem Nebenzimmer gewartet. Er fand die Ereignisse, die sich an diesem Tag im Hause Silkham abspielten, recht unterhaltsam. Lady Sarah und Lady Diana hatten zusammen schon sechs Mal um ihr Riechfläschchen gebeten; außerdem klagten sie abwechselnd über nervöse Unruhe und Schwächegefühl. Die Zofen kamen aus der Aufregung kaum heraus. Derzeit ruhte Lady Silkham mit einem Eisbeutel auf der Stirn in ihrem Salon, während Lady Riddleworth ihren Gatten im Gästezimmer anflehte, irgendetwas zu Gwyneiras Rettung zu tun, und sei es, Warden zu fordern. Der Oberst zeigte verständlicherweise wenig Neigung dazu. Er strafte den Neuseeländer lediglich mit Verachtung und schien ansonsten nichts inniger zu wünschen, als das Haus seiner Schwiegereltern baldmöglichst zu verlassen.
Gwyneira selbst nahm die Sache offensichtlich gelassen auf. Silkham hatte sich zwar geweigert, Warden gleich beim Gespräch mit ihr hinzuzuziehen, doch einen Temperamentsausbruch des lebhaften Mädchens hätte man wohl auch nebenan kaum überhört. Als Warden nun ins Herrenzimmer gerufen wurde, fand er Gwyneira denn auch tränenlos,
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