Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
stämmiger Männer, die ihn mit Gewalt durch den Hinterausgang zur wartenden Gefängniskutsche zerrten. Bislang hatte er erbittert gekämpft, doch bei Gwyns Anblick beruhigte er sich.
    »Ich sehe dich wieder«, formten seine Lippen. »Gwyn, ich sehe dich wieder!«

10

    Seit dem Prozess gegen James McKenzie waren kaum sechs Monate vergangen, als Gwyneira von einem aufgeregten kleinen Maori-Mädchen bei ihrer täglichen Arbeit gestört wurde. Wie immer hatte sie einen geschäftigen Morgen hinter sich, getrübt wieder einmal durch eine Auseinandersetzung mit Paul. Der Junge hatte zwei Maori-Viehhüter beleidigt – und das jetzt, kurz vor der Schur und dem Auftrieb ins Hochland, wo nun wirklich jede Hand gebraucht wurde. Die beiden Männer waren unersetzlich, erfahren, zuverlässig, und es gab nicht den geringsten Grund, sie zu brüskieren, weil sie den Winter zu einer der traditionellen Wanderungen ihres Stammes genutzt hatten. Das war normal: Wenn die Vorräte aufgebraucht waren, die der Stamm für den Winter eingelagert hatte, zogen die Maoris fort, um in anderen Gegenden des Landes zu jagen. Dann waren die Häuser am See von einem Tag zum anderen verlassen, und es kam auch niemand mehr zur Arbeit, von wenigen treuen Hausangestellten einmal abgesehen. Für Neuankömmlinge unter den pakeha war das anfangs befremdlich, doch langjährige Siedler waren längst daran gewöhnt. Zumal die Stämme auch nicht irgendwann verschwanden, sondern nur, wenn sie unweit ihrer Dörfer nichts mehr zu essen fanden oder bei den pakeha genug verdienten, um etwas zu kaufen. Wenn es Zeit für die Aussaat auf ihren Feldern war und Schur und Viehauftrieb reichlich Arbeit boten, kamen sie zurück. So auch Gwyneiras zwei Arbeiter, die absolut nicht verstanden, warum Paul sie wegen ihrer Abwesenheit rüde beschimpfte.
    »Mr. Paul muss doch wissen, wir kommen wieder!«, meinte einer der Männer verärgert. »Er so lange geteilt Lager mit uns. War wie Sohn als klein war, wie Bruder von Marama. Aber jetzt ... nur Ärger. Nur weil Ärger mit Tonga. Er sagt, wir nicht hören auf ihn, hören auf Tonga. Und Tonga wollen, dass weg. Aber ist Unsinn. Tonga noch nicht trägt tokipoutangata , Beil von Häuptling ... und Mr. Paul noch nicht Herr von Farm!«
    Gwyneira seufzte. Im Moment gab ihr Ngopinis letzte Bemerkung eine gute Handhabe, die Männer zu beschwichtigen. Ebenso wie Tonga noch nicht Häuptling war, gehörte auch Paul die Farm noch nicht; er durfte also niemanden verwarnen oder gar entlassen. Als Entschuldigung reich mit Saatgut beschenkt, erklärten die Maoris sich schließlich bereit, weiter für Gwyn zu arbeiten. Doch wenn Paul den Betrieb irgendwann einmal übernahm, würden die Leute ihm weglaufen. Wahrscheinlich würde Tonga das ganze Lager verlegen, wenn er eines Tages die Häuptlingswürde trug, um Paul nicht mehr sehen zu müssen.
    Gwyneira suchte ihren Sohn auf und hielt ihm dies alles vor, doch Paul zuckte nur die Schultern. »Dann stelle ich eben Neusiedler als Arbeiter ein. Die sind eh einfacher zu führen! Und Tonga wird sich sowieso nicht trauen, von hier zu verschwinden. Die Maoris brauchen das Geld, das sie hier verdienen, und das Land, auf dem sie wohnen. Wer lässt sie denn sonst bei sich siedeln? Das Land gehört doch jetzt alles den weißen Viehzüchtern. Und die brauchen keine Unruhestifter!«
    Verärgert musste Gwyn sich eingestehen, dass Paul Recht hatte. Tongas Stamm würde nirgendwo willkommen sein. Doch der Gedanke beruhigte sie nicht, sondern machte ihr eher Angst. Tonga war ein Heißsporn. Niemand konnte sagen, was geschah, wenn ihm das alles klar wurde, was Paul eben angeführt hatte.
    Und nun kam auch noch das kleine Mädchen in den Stall, in dem Gwyn gerade ihr Pferd sattelte. Noch eine offenbar eingeschüchterte Maori. Hoffentlich nicht mit weiteren Beschwerden über Paul.
    Doch das Mädchen gehörte nicht zu dem Stamm nebenan. Stattdessen erkannte Gwyn eine von Helens kleinen Schülerinnen. Sie näherte sich scheu und knickste vor Gwyn wie ein braves englisches Schulkind.
    »Miss Gwyn, Miss Helen schickt mich. Ich soll Ihnen sagen, auf der O’Keefe Farm warte jemand auf Sie. Und Sie sollen schnell kommen, vor der Dunkelheit, bevor Mr. Howard heimkehrt – falls er heute Abend nicht in den Pub geht.« Das Kind sprach ein hervorragendes Englisch.
    »Wer kann denn da auf mich warten, Mara?«, fragte Gwyneira verblüfft. »Es weiß doch jeder, wo ich wohne ...«
    Die Kleine nickte ernst. »Es ist ein Geheimnis!«,

Weitere Kostenlose Bücher