Im Land Der Weissen Wolke
ausgebrochen, Gwyn! Und jetzt mach, gib mir das Pferd. McKenzie ist in der Scheune.«
Gwyneira flog geradezu auf die Scheune zu. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was sollte sie ihm sagen? Was wollte er ihr sagen? Aber James war da ... er war da, sie würden sich ...
James McKenzie zog Gwyneira in die Arme, kaum dass sie die Scheune betrat. Sie hatte keine Zeit, sich zu wehren, und wollte es auch gar nicht. Aufatmend schmiegte sie sich an James’ Schulter. Es war dreizehn Jahre her, aber es fühlte sich immer noch so wundervoll an wie damals. Hier war sie sicher. Egal, was um sie herum geschah – wenn James die Arme um sie legte, war sie behütet vor der Welt.
»Gwyn, es ist lange her ... Ich hätte dich nie verlassen dürfen.« James flüsterte die Worte in ihr Haar. »Ich hätte das mit Paul wissen müssen. Stattdessen ...«
»Ich hätte es dir sagen sollen«, meinte Gwyneira. »Aber ich hätte es nie über die Lippen gebracht ... wir sollten jetzt aufhören mit den Entschuldigungen, wir wussten doch immer, was wir wollten ...« Sie lächelte ihm spitzbübisch zu. McKenzie konnte sich an dem glücklichen Ausdruck in ihrem vom Ritt erhitzten Gesicht gar nicht satt sehen. Aber er nutzte natürlich seine Chance und küsste ihren so bereitwillig dargebotenen Mund.
»Also gut, kommen wir zur Sache!«, sagte er dann streng, während der alte Schalk in seinen Augen tanzte. »Stellen wir vor allem eines klar – und ich möchte die Wahrheit hören und nichts als die Wahrheit. Jetzt, da es keinen Ehemann mehr gibt, dem du Loyalität schuldest, und kein Kind mehr belogen werden muss: War es damals wirklich nur ein Geschäft, Gwyn? Ging es wirklich nur um das Kind? Oder hast du mich nicht doch geliebt? Zumindest ein bisschen?«
Gwyneira lächelte, legte dann aber ihre Stirn in Falten, als würde sie angestrengt nachdenken. »Ein bisschen? Doch, ja, wenn ich es mir recht überlege, habe ich dich ein bisschen geliebt.«
»Gut.« James blieb ebenfalls ernst. »Und nun? Da du länger darüber nachgedacht und eine so wunderschöne Tochter großgezogen hast? Da du frei bist, Gwyneira, und niemand dir mehr befehlen kann? Liebst du mich immer noch ein bisschen?«
Gwyneira schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, erklärte sie langsam. »Jetzt liebe ich dich sehr!«
James nahm sie noch einmal in die Arme, und sie genoss seinen Kuss.
»Liebst du mich genug, um mit mir zu kommen?«, fragte er. »Genug, um mit mir zu fliehen? Das Gefängnis ist schrecklich, Gwyn. Ich muss da raus!«
Gwyneira schüttelte den Kopf. »Wie stellst du dir das vor? Wo willst du hin? Wieder Schafe stehlen? Wenn sie dich diesmal erwischen, hängst du! Und mich stecken sie ins Gefängnis.«
»Sie haben mich mehr als zehn Jahre lang nicht gekriegt!«, meinte er trotzig.
Gwyn seufzte. »Weil du dieses Land und diesen Pass gefunden hast. Das ideale Versteck. Sie nennen es übrigens McKenzie Highland. Wahrscheinlich wird es noch so heißen, wenn keiner mehr sich an John Sideblossom und Gerald Warden erinnert.«
McKenzie grinste.
»Aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir so etwas noch mal finden! Du musst die fünf Jahre Haft hinter dich bringen, James. Wenn du dann wirklich frei bist, sehen wir weiter. Ich könnte ohnehin nicht einfach von hier fort. Die Menschen hier, die Tiere, die Farm ... James, das alles hängt an mir. Die gesamte Schafhaltung. Gerald trinkt mehr als er arbeitet, und wenn überhaupt, kümmert er sich nur noch ein bisschen um die Rinderzucht. Aber auch das überlässt er mehr und mehr Paul ...«
»Wobei der Knabe nicht sonderlich beliebt ist ...«, brummte James. »Fleurette hat mir da einiges erzählt, ebenso der Police Officer in Lyttelton. Ich weiß so gut wie alles über die Canterbury Plains. Mein Gefängniswärter langweilt sich, und ich bin der Einzige, mit dem er den ganzen Tag reden kann.«
Gwyn lächelte. Sie kannte den Officer flüchtig von gesellschaftlichen Anlässen und wusste, dass er gern plauderte.
»Paul ist schwierig, ja«, gab sie zu. »Umso mehr brauchen die Leute mich. Zumindest jetzt noch. In fünf Jahren wird alles anders aussehen. Bis dahin ist Paul fast volljährig, und er wird sich nichts mehr von mir sagen lassen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich auf einer Farm leben möchte, die von Paul geleitet wird. Aber vielleicht können wir für uns ja ein Stück Land abzweigen. Nach allem, was ich für Kiward Station geleistet habe, steht es mir zu.«
»Nicht genug Land für eine Schafzucht«,
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