Im Land Der Weissen Wolke
erklärte sie wichtig. »Und ich darf es auch niemandem sagen, nur Ihnen!«
Gwyneiras Herz klopfte heftig. »Fleurette? Ist es meine Tochter? Ist Fleur zurückgekehrt?« Sie konnte es kaum glauben, hoffte sie doch, dass ihre Tochter längst mit Ruben vereint irgendwo in Otago lebte.
Mara schüttelte den Kopf. »Nein, Miss, es ist ein Mann ... äh, ein Gentleman. Und ich soll Ihnen sagen, Sie möchten sich bitte beeilen.« Bei den letzten Worten knickste sie wieder.
Gwyneira nickte. »Gut, Kind. Hol dir rasch ein wenig Zuckerzeug aus der Küche. Moana hat vorhin Kekse gebacken. Ich spanne in der Zeit die Chaise an. Dann kannst du mit mir zusammen heimfahren.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich kann gut laufen, Miss Gwyn. Nehmen Sie lieber Ihr Pferd. Miss Helen sagt, es ist sehr, sehr eilig!«
Gwyneira verstand nun wirklich nichts mehr, fuhr aber gehorsam mit dem Satteln fort. Also keine Inspektion der Scherschuppen heute, sondern ein Besuch bei Helen. Wer konnte der mysteriöse Besucher sein? Sie zäumte Raven, eine Tochter der Stute Morgaine, im Eiltempo auf, wobei dieses Eiltempo der Stute lag. Raven setzte sich gleich eifrig in Trab, als Gwyneira die Gebäude von Kiward Station hinter sich ließ. Inzwischen war der Schleichweg zwischen den Farmen so gut ausgetreten, dass Gwyn ihr Pferd kaum noch am Zügel halten musste, um ihm über schwierige Wegstrecken hinwegzuhelfen. Den Bach übersprang Raven mit einem mächtigen Satz. Gwyneira dachte mit triumphierendem Lächeln an die letzte Jagd, die Reginald Beasley veranstaltet hatte. Der Farmer war inzwischen wieder verheiratet, mit einer Witwe aus Christchurch, die vom Alter her zu ihm passte. Sie führte den Haushalt vorzüglich und pflegte den Rosengarten mit nie endender Sorgfalt. Sehr leidenschaftlich wirkte sie allerdings nicht – Beasley suchte sein Vergnügen deshalb nach wie vor in der Rennpferdezucht. Umso mehr wurmte es ihn, dass Gwyneira und Raven bisher jede Schleppjagd gewonnen hatten. Für die Zukunft plante er den Bau einer Rennbahn. Dann würden ihre Cobs seine Vollblüter nicht mehr abhängen!
Kurz vor Helens Farm musste Gwyn ihr Pferd allerdings zügeln, um nicht die Kinder niederzureiten, die aus der Schule kamen.
Tonga und ein oder zwei weitere Maoris aus der Siedlung am See grüßten eher mürrisch. Nur Marama lächelte freundlich wie immer.
»Wir lesen ein neues Buch, Miss Gwyn!«, erklärte sie vergnügt. »Eins für Erwachsene! Von Mr. Bulwer-Lytton. Der ist ganz berühmt in England! In dem Buch geht’s um ein Lager von den Römern, die sind ein ganz alter Stamm in England. Ihr Lager liegt bei einem Vulkan, und der bricht aus. Es ist sooo traurig, Miss Gwyn ... ich hoffe bloß, dass die Mädchen am Leben bleiben. Wo Glaucos Jone doch so liebt! Aber die Leute sollten wirklich klüger sein. Man schlägt sein Lager nicht so nah an den Feuerbergen auf. Und dann noch ein großes, mit Schlafhäusern und allem! Was meinen Sie, ob Paul das Buch auch lesen möchte? Er liest so wenig in der letzten Zeit, das ist nicht gut für einen Gentleman, sagt Miss Helen. Ich werde ihn nachher suchen und ihm das Buch bringen!« Marama hüpfte davon, und Gwyneira lächelte in sich hinein. Sie grinste noch, als sie auf Helens Hof hielt.
»Deine Kinder zeigen gesunden Menschenverstand«, neckte sie Helen, die gleich aus dem Haus kam, als sie Hufschläge hörte. Sie wirkte erleichtert, als sie Gwyn erkannte und keinen anderen Besucher. »Ich wusste nie, was ich an Bulwer-Lytton nicht mochte, aber Marama bringt es auf den Punkt: alles ein Fehler der Römer. Hätten die nicht am Vesuv gebaut, wäre Pompeji nicht untergegangen, und Mr. Bulwer-Lytton hätte sich die ganzen 500 Seiten sparen können. Du solltest den Kindern nur nahe bringen, dass das Ganze nicht in England spielt ...«
Helens Lächeln wirkte gezwungen. »Marama ist ein kluges Kind«, sagte sie. »Aber jetzt komm, Gwyn, wir dürfen keine Zeit verschwenden. Wenn Howard ihn hier findet, bringt er ihn um. Er ist doch immer noch wütend, dass Warden und Sideblossom ihn bei der Zusammenstellung des Suchtrupps übergangen haben ...«
Gwyneira runzelte die Stirn. »Welcher Suchtrupp? Und wen bringt er um?«
»Na, McKenzie. James McKenzie! Ach ja, stimmt, ich hatte Mara den Namen nicht genannt – sicherheitshalber. Aber er ist hier, Gwyn. Und er will dringend mit dir reden!«
Gwyneira schienen die Beine wegzuknicken. »Aber ... James ist in Lyttelton im Gefängnis. Er kann nicht ...«
»Er ist
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