Im Land Der Weissen Wolke
allein im Hochland. Zumal er von den Maori-Stämmen keine Unterstützung zu erwarten hat.«
Damit hatte sie zweifellos Recht. Denn obwohl der Sheriff zunächst auf eine Untersuchung verzichtete und auch nicht den Fehler beging, den Vieh-Baronen mitten in der Schur ihre Arbeiter zwecks Aufstellung eines Suchtrupps zu entziehen: Tonga nahm die Angelegenheit nicht einfach so hin. Paul hatte Marama. Egal ob sie freiwillig mit ihm gegangen war oder nicht – Paul hatte das Mädchen, das Tonga wollte. Und jetzt endlich schützten Paul die Mauern der pakeha -Häuser nicht mehr. Es gab nicht mehr den reichen Viehzüchter und den Maori-Jungen, den keiner richtig ernst nahm. Jetzt gab es nur noch zwei Männer im Hochland. Für Tonga war Paul vogelfrei. Doch vorerst wartete er. Er war nicht so dumm wie die Weißen, dem Geflohenen kopflos hinterherzusetzen. Irgendwann würde er erfahren, wo Paul und Marama steckten. Und dann würde er ihn finden.
Gwyneira und Helen beerdigten Gerald Warden und Howard O’Keefe. Danach nahmen beide ihr Leben wieder auf, wobei sich für Gwyneira nicht viel änderte. Sie organisierte die Schafschur und machte zunächst den Maoris ein Friedensangebot.
Mit Reti als Dolmetscher wanderte sie ins Dorf und nahm die Verhandlungen auf.
»Ihr sollt das Land haben, auf dem euer Dorf steht«, erklärte sie und lächelte verunsichert. Tonga stand ihr mit starrem Gesicht gegenüber, gestützt auf das Heilige Beil als Zeugnis seiner Häuptlingswürde. »Ansonsten müssen wir uns etwas überlegen. Ich habe nicht viel Bargeld – nach der Schafschur wird das allerdings etwas besser aussehen, und vielleicht können wir auch Wertanlagen verkaufen. Ich bin noch nicht sehr weit mit Mr. Geralds Nachlass. Aber sonst ... wie wäre es mit dem Land zwischen unseren eingezäunten Weiden und O’Keefe Station?«
Tonga zog eine Augenbraue hoch. »Miss Gwyn, ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, aber ich bin nicht dumm. Ich weiß genau, dass Sie keinerlei Handhabe besitzen, hier irgendwelche Angebote zu machen. Sie sind nicht die Erbin von Kiward Station – tatsächlich gehört die Farm Ihrem Sohn Paul. Und Sie wollen nicht ernsthaft behaupten, er hätte Sie ermächtigt, in seinem Namen mit mir zu verhandeln?«
Gwyneira schlug die Augen nieder. »Nein, das hat er nicht. Aber, Tonga, wir leben hier zusammen. Und wir haben immer in Frieden gelebt ...«
»Ihr Sohn hat diesen Frieden gebrochen!«, sagte Tonga hart. »Er hat mich und meine Leute beleidigt ... Ihr Mr. Gerald hat zudem meinen Stamm betrogen. Das ist lange her, ich weiß, aber wir haben länger gebraucht, um es herauszufinden. Eine Entschuldigung dafür ist bislang nicht erfolgt ...«
»Ich entschuldige mich!«, meinte Gwyn.
»Sie tragen nicht das Heilige Beil! Ich akzeptiere Sie durchaus, Miss Gwyn, als tohunga . Sie verstehen mehr von Viehzucht als die meisten Ihrer Männer. Aber rechtlich gesehen sind Sie nichts und haben nichts.« Er wies auf ein kleines Mädchen, das am Rand des Verhandlungsplatzes spielte. »Kann dieses Kind für die Kai Tahu sprechen? Nein. Ebenso wenig sprechen Sie, Miss Gwyn, für den Stamm der Wardens.«
»Aber was machen wir dann?«, fragte Gwyn verzweifelt.
»Das Gleiche wie zuvor. Wie befinden uns im Kriegszustand. Wir werden Ihnen nicht helfen, im Gegenteil, wir werden Sie behindern, wo es nur geht. Wundern Sie sich nicht, dass niemand Ihre Schafe scheren will? Wir haben das verhindert. Wir werden auch Ihre Straßen sperren, den Abtransport Ihrer Wolle behindern – wir lassen die Wardens nicht zur Ruhe kommen, Miss Gwyn, bis der Gouverneur ein Urteil gesprochen hat und Ihr Sohn bereit ist, es anzuerkennen.«
»Ich weiß nicht, wie lange Paul wegbleiben wird«, meinte Gwyneira hilflos.
»Dann wissen wir auch nicht, wie lange wir kämpfen werden. Ich bedauere das, Miss Gwyn«, schloss Tonga und wandte sich ab.
Gwyneira seufzte. »Ich auch.«
In den nächsten Wochen kämpfte sie sich durch die Schafschur, tatkräftig unterstützt von ihren Männern und den beiden Arbeitern, die Gerald und Paul noch in Haldon verpflichtet hatten. Joe Triffle musste ständig überwacht werden, doch wenn man ihn vom Alkohol fern hielt, leistete er als Scherer so viel wie drei gewöhnliche Viehhüter. Helen, die bislang noch keine Helfer hatte, beneidete Gwyn um diesen fähigen Mann.
»Ich würde ihn dir ja abtreten«, sagte Gwyn. »Doch glaub mir, du allein kannst ihn nicht kontrollieren, das geht nur, wenn die ganze Kolonne an einem
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