Im Land Der Weissen Wolke
zum Gehen, aber die kleine Dorothy hielt sie auf. Schüchtern zupfte sie an ihrem Rock.
»Miss, Verzeihung, Miss, aber Ihr Kleid ist ganz schmutzig. Ihre Mama wird sicher schimpfen.«
Gwyneira lachte, sah dann aber doch besorgt an sich herunter. »Du hast Recht. Sie wird Zustände kriegen! Ich bin unmöglich. Nicht mal beim Abschied kann ich mich ordentlich benehmen.«
»Ich kann das abbürsten, Miss. Ich kenne mich aus mit Samt!« Dorothy blickte beflissen zu Gwyneira auf und wies ihr dann zaghaft den Stuhl in ihrer Kabine an.
Gwyneira setzte sich. »Wo hast du das gelernt, Kleines?«, fragte sie dann überrascht, als Dorothy ihr Jackett geschickt mit Helens Kleiderbürste bearbeitete; offenbar hatte das Mädchen vorhin beobachtet, wie Helen ihre Pflegeutensilien in dem winzigen Spind verstaut hatte, der zu jeder Koje gehörte.
Helen seufzte. Beim Kauf der kostbaren Bürsten hatte sie eigentlich nicht daran gedacht, diese zur Beseitigung von Mistspuren zu verwenden.
»Wir kriegen oft abgelegte Kleidung als Spende ins Waisenhaus. Aber wir behalten sie nicht, sie wird verkauft. Vorher muss sie natürlich sauber gemacht werden, und dabei helfe ich immer. Sehen Sie, Miss, jetzt ist es wieder schön!« Dorothy lächelte schüchtern.
Gwyneira suchte in ihren Taschen nach einem Geldstück, um das Mädchen zu belohnen, fand aber nichts, das Kostüm war noch zu neu.
»Ich bringe euch morgen ein Dankeschön mit, versprochen!«, beschied sie Dorothy, als sie sich zum Gehen wandte. »Und du wirst mal eine gute Hausfrau. Oder Zofe bei ganz feinen Leuten! Wir sehen uns!« Gwyneira winkte Helen und den Mädchen zu, als sie leichtfüßig über die Brücke lief.
»Das glaubt die doch selbst nicht!«, meinte Daphne und spuckte hinter ihr aus. »Solche Leute machen ständig Versprechungen, aber dann sieht man sie nie wieder. Du musst immer schauen, dass sie gleich was abdrücken, Dot! Sonst wird das nie was!«
Helen schlug die Augen gen Himmel. Wie war das mit den »auserwählten, braven und zum demütigen Dienen erzogenen Mädchen«? Auf jeden Fall musste sie jetzt streng durchgreifen.
»Daphne, du wischst das sofort auf! Miss Gwyneira ist euch zu nichts verpflichtet. Dorothy hat sich selbst angeboten, ihr zu Diensten zu sein. Das war Höflichkeit, kein Geschäft. Und junge Ladys spucken nicht!« Helen sah sich nach einem Putzeimer um.
»Wir sind doch keine Ladys!«, kicherten Laurie und Mary.
Helen blickte sie streng an. »Wenn wir in Neuseeland ankommen, seid ihr es«, versprach sie. »Zumindest werdet ihr euch so benehmen!«
Entschlossen begann sie mit der Erziehung.
Gwyneira atmete auf, als endlich die letzten Gangways vom Anleger zur Dublin eingezogen wurden. Die Stunden des Abschieds waren anstrengend gewesen, allein die Tränenströme ihrer Mutter hatten drei Taschentücher durchnässt. Hinzu kamen das Gejammer ihrer Schwestern und die gefasste, aber trübsinnige Haltung ihres Vaters, die besser zu einer Hinrichtung als zu einer Hochzeit gepasst hätte. Und zu allem Überfluss zerrte der offensichtliche Neid ihres Bruders an Gwyneiras Nerven. Der hätte sein Erbe in Wales wohl gern gegen ihr Abenteuer eingetauscht! Gwyn unterdrückte ein hysterisches Kichern. Wie schade, dass John Henry nicht Lucas Warden heiraten konnte!
Jetzt aber würde die Dublin endlich ablegen. Ein Rauschen, laut wie ein Sturmwind, ließ erkennen, dass die Segel gesetzt waren. Noch an diesem Abend würde das Schiff auf den Ärmelkanal hinaus und Richtung Atlantik segeln. Gwyneira wäre gern bei ihren Pferden gewesen, aber das schickte sich natürlich nicht. Also blieb sie brav an Deck und winkte mit ihrem größten Schal zu ihrer Familie hinunter, bis das Ufer fast außer Sicht geriet. Gerald Warden bemerkte, dass sie keine Träne vergoss.
Helens kleine Zöglinge weinten dafür umso bitterlicher, doch die Atmosphäre auf dem Zwischendeck war ohnehin angespannter als bei den reichen Reisenden. Für die ärmeren Auswanderer war die Reise mit ziemlicher Sicherheit ein Abschied für immer; zudem fuhren die meisten in eine viel ungewissere Zukunft als Gwyneira und ihre Reisegefährten vom Oberdeck. Helen tastete nach Howards Briefen in ihrer Tasche, während sie die Mädchen tröstete. Sie wurde immerhin erwartet ...
Dennoch schlief sie schlecht in der ersten Nacht an Bord. Die Schafe waren immer noch nicht trocken; ihr Geruch nach Mist und nasser Wolle stieg weiterhin in Helens empfindliche Nase. Bis die Kinder einschlummerten, dauerte es
Weitere Kostenlose Bücher